Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
sich im bleichen Wintersonnenschein aalenden Menschen auf dem Soho Square gleiten ließ, kam es ihr auf einmal so vor, als wären die meisten dieser sich sonnenden und bummelnden Leute, sich sonnende und bummelnde Pärchen, junge, attraktive, wohlhabende Pärchen Ende zwanzig, die lachend und scherzend über ihren Lattes und Paninis miteinander schäkerten. Gegen ihren Willen begann sich Amelie zu fragen, wann sie eigentlich zum letzten Mal eine Beziehung gehabt hatte, die nicht vollkommen hoffnungslos gewesen war. Gleichzeitig aber keimte ein winzig kleiner Gedanke auf. Der Gedanke, dass auch sie in zwei Monaten siebenundzwanzig wurde. Und dass, so wenig ihr das gefiel, ihre alte Freundin ja vielleicht Recht haben könnte.
»Gut, jetzt wo wir die Wodka-Kampagne auf den Weg gebracht haben, können wir uns ja diesem Fast-Love-Blödsinn widmen«, sagte Amelie tags darauf zu Duncan. »Was meinst du – ein kleiner Spaziergang, ein kleiner Kaffee auf dem Weg durch die Wüste der Inspiration?«
»Das ist die beste Idee die du seit langem hattest, Holden«, antwortete er fröhlich und griff nach seiner Jeansjacke. »Meeting Room 4?«
Wenige Minuten später saßen sie gemütlich auf einer braunen Couch im Nellie, dem Pub um die Ecke. Das Nellie war, aufgrund seiner Nähe, ein beliebter Treffpunkt des LGMK-Personals. Egal, wann man es betrat, frühmorgens oder spätabends, die Wahrscheinlichkeit war groß, einen oder mehrere der hundertköpfigen Belegschaft im gut besuchten Nellie vorzufinden.
Amelie nahm einen Schluck von ihrem Bier. Dann huschten ihre kühlen blauen Augen wohl zum zwanzigsten Mal an diesem Tag über das Infoblatt des Bosses.
»Was ist die wichtigste Botschaft, die wir vermitteln wollen?«, las sie laut vor. Und mit spöttisch verstellter Stimme las sie gleich weiter: »Dass Alleinsein nicht mehr infrage kommt.«
Nach einer kurzen Denkpause und einem tiefen Zug von ihrer Zigarette meinte Amelie. »Ist das nicht ein klein bisschen überehrgeizig, was meinst du? Und was soll das eigentlich heißen? Dass es in der heutigen Welt nicht mehr möglich ist, Single zu bleiben? Oder dass es einfach nicht mehr wünschenswert ist?«
»Weder noch. Ich glaube, es heißt, dass Fast Love so toll ist, so unvergleichlich brillant, dass es... na ja, dass es einfach nicht mehr nötig ist, allein zu bleiben. Dass... dass jetzt jedermann imstande ist, wenn er will, seine bessere Hälfte zu finden und glücklich zu werden.«
Amelie tat, als müsse sie sich übergeben.
Duncan lachte. »Du, die eingefleischte Zynikerin und ich, der noch nie Glück in der Liebe hatte... Mann, was für ein Paar! Glaube nicht, dass ausgerechnet wir eine Chance haben, bei dieser Kampagne den Jackpot zu gewinnen. Eigentlich ein Witz, oder?«
»Ja, vielleicht sollten wir diese Kampagne ja einfach mal aussitzen, was? Ich meine, ich glaube ja nicht mal an die Ehe. An diese Vorstellung, man könne ›den Einen‹ finden, der zu einem gehört, und mit ihm bis ans Lebensende glücklich werden... Ist doch reine Illusion. Ein Ammenmärchen. Die Realität sieht anders aus.«
Sie nahm einen kräftigen Schluck Bier und schaute Duncan an. »Ich meine, nimm doch nur meine Eltern. Wie oft die schon verheiratet waren! Von den Affären und Seitensprüngen dazwischen gar nicht zu reden! Und jetzt hat meine Mum zum dritten Mal geheiratet, felsenfest davon überzeugt, endlich den Richtigen gefunden zu haben – und was ist? Stellt sich raus, es ist doch bloß wieder der Falsche, und die Scheidung taucht schon am Horizont auf...« Amelie hielt inne und schaute einen Moment lang aus dem Fenster. »Ich meine, was zum Teufel soll so falsch daran sein, dass man einfach sein Leben lang für sich allein bleibt? Da wird man wenigstens nicht verletzt, betrogen oder gedemütigt...«
»Stimmt«, pflichtete ihr Duncan mit einem nachdenklichen Blick in den blauen Augen bei. »Ich weiß, was du meinst. Aber trotzdem: Ein Teil von mir glaubt immer noch daran, dass du und ich vielleicht einfach noch nicht die richtige Person getroffen haben.«
»Hmmm. Das glaube ich erst, wenn ich’s erlebe. Oh!«, rief sie mit einem Blick auf ihre Uhr. »Es ist ja schon Wedges-Time! Zeit für einen großen Teller Potato-Wedges. Willst du auch? Wir können uns einen teilen.« Und schon sprang sie auf und eilte zur Bar, um eine große Portion zu bestellen.
Auf dem Rückweg zum Sofa dachte sie noch einmal über das nach, was sie zuletzt gesagt hatte, dachte an ihre letzte – und einzige
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