Keinesfalls Liebe (German Edition)
zum guten alten McDonald’s ist alles leicht zu finden. Nachtclubs für U30-Parties, für Motorradfreaks, für zurückhaltende Jugendliche und für sexbesessene Aufreißer warten an jeder Ecke darauf, betreten zu werden.
Eigentlich war für heute traditionell ein Restaurantbesuch geplant. Aber Carlos erklärte mir mit einem breiten Grinsen, dass sie doch einen guten Eindruck auf mich machen wollten. Ich war es nicht mehr gewohnt, einen Tisch zu decken. Zuhause in Deutschland hatte ich mitten in Stuttgart gewohnt, in einer kleinen Stadtwohnung – da hatte ich nicht mal den Platz für einen großen Esstisch gehabt.
Sean schien mir anzumerken, dass ich an etwas dachte, das weit in der Vergangenheit lag. „Wann bist du eigentlich von daheim ausgezogen?“, fragte er, als wir uns an den Tisch setzten.
Carlos stürzte sich so hungrig auf die selbst gemachten Burger, als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen.
„Na ja, eigentlich bin ich nicht ausgezogen.“ Ich wich seinem Blick aus und schnappte Carlos das Ketchup weg, was er mit einem belustigten Schnauben quittierte.
„Was war los?“
„Meine Adoptivmutter hat mich rausgeworfen, als ich siebzehn war.“
„So war’s bei mir auch“, verkündete Carlos, aber er schien stolz darauf zu sein.
„Gab’s einen bestimmten Grund?“, fragte Celine vorsichtig.
Oh je. Das war genau die Frage, die ich befürchtet hatte. Jetzt galt es, mir etwas auszudenken, das nicht allzu schlimm war.
„Ich hab zum ersten und letzten Mal in meinem Leben Ecstasy genommen. Nur zum, na ja, ihr wisst schon, zum Ausprobieren.“ Oh, Mann. Ausgerechnet Drogen! Wenigstens fiel die Reaktion der drei empört aus.
„Das ist kein Grund, jemanden gleich rauszuwerfen!“, beschwerte sich Carlos. „Ich mein, klar, Drogen sind nicht gut. Aber sowas? Nee, echt.“
„Hm“, brummte ich unverbindlich.
Ich war überrascht, wie unglaublich wohl ich mich mit dem Gedanken fühlte, einige Jahre hier zu verbringen. Ich konnte endlich das Leben führen, das ich mir gewünscht hatte. Nur meinen Bruder Noah würde ich mit der Zeit schrecklich vermissen. Er war älter als ich und dabei viel kindlicher: Seit ich denken konnte, hatte ich auf ihn aufgepasst und war derjenige gewesen, der sich um ihn kümmerte. Zum Beispiel, als er bitterlich weinte, nachdem unsere Mutter uns beiden gesagt hatte, unser Vater sei weg, weit weg, und wir würden ihn niemals sehen.
Oder wenn er sich verletzte. Oder in der Schule Probleme hatte.
Ihm war der Umzug von Deutschland nach England sehr viel schwerer gefallen als mir. Ich sehe es noch genau vor mir – Noah und ich, wie wir uns vor dem Schulgebäude trennen mussten, weil wir altersbedingt in verschiedene Klassen gingen. Er hatte sich auch schon immer um mich gekümmert, eher passiv als aktiv. Er hatte mich einfach gehalten.
Unsere Mutter hatte uns nie aufgefangen.
Eine entspannende, stresslose, ruhige Woche später setzte ich zum ersten Mal als Student einen Fuß in die Uni – und war sofort wieder hin und weg. Hörsaal um Hörsaal war von Licht durchflutet, ebenso die Bibliotheken und die Speisesäle. Am meisten begeisterten mich die großen Räume, in denen wir zeichneten; eine willkommene Abwechslung, von den öden Vorlesungen. Riesig, hell, fernab der Straßen gelegen – perfekt, um in Ruhe zu malen. Flankiert von Sean und Celine trug ich meinen Namen in die Anwesenheitsliste ein. Dann wurde ich zu einem Sitz in der Mitte der linken Reihe des Hörsaals manövriert, auf meinen neuen Platz gedrückt und sofort über die aufregendsten Gestalten des riesigen Campus informiert.
„Das da drüben ist Johnny. Ein echter Idiot. Er ist bei der letzten Party in die Bowle, ähm, gefallen“, kicherte Celine.
Ich fragte mich zum hundertsten Mal in meinem Leben, warum Mädchen immer kichern müssen. Es war nicht mehr ganz so abwegig, als ich das Gesicht des jungen Mannes sah – er starrte vor sich hin, als wäre er wirklich nicht die hellste Kerze auf der Torte. Was hatte er an einer berühmten Uni zu suchen?
„Nicht zu vergessen: Ryan“, fuhr Sean fort und zeigte auf einen blonden jungen Mann ganz in unserer Nähe, zu dem die Beschreibung Engel passte. Ryans Lippen waren voll wie die eines Mädchens, seine Haut war elfenbeinfarben und seine Augen nahezu klischeehaft blau. Er plauderte lächelnd mit mehreren unscheinbaren jungen Männern um ihn herum und spielte dabei mit seinen blonden Locken. Ich griff mir unwillkürlich in meine langen Haare, die von Natur aus
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