Keinesfalls Liebe (German Edition)
Drang, mich aufzuziehen, hatte ich nichts mit ihnen am Hut und sie nichts mit mir.
Daniel hatte ernst geklungen, als er sagte, er wolle mich haben – sogar todernst. Ein Schauspieler könnte diese feste Entschlossenheit in seiner Stimme nicht besser hinbekommen.
Nicht einmal der Präsident, wenn er seinen Bürgern verkünden müsste, dass ein gewaltiger Tsunami das ganze Land überrollen wird und es keine Möglichkeit gibt, die Wassermassen aufzuhalten. Carlos war schon den ganzen Tag verschwunden, und je deutlicher sich die Sonne dem Mond geschlagen geben musste, desto größer wurde meine Sorge um ihn, obwohl ich ihn erst seit rund drei Wochen kannte. Natürlich, er war volljährig – doch auf sich selbst achtgeben konnte er nicht.
Direkt an San Bernardino grenzt ein gewaltiges Gebirge, und in solchen Gegenden Kaliforniens wird es abends und nachts eisig kalt, während man sich im Sommer wie ein verkohltes Stück Grillfleisch fühlt und im Winter erfriert. Obwohl eigentlich von ‚kennen‘ nicht die Rede war, sagte mir irgendetwas, dass Carlos sich in diesem Moment volltrunken durch das kalte nächtliche San Bernardino schleppte, grölend und für den Moment überglücklich.
Ich starrte eine Weile durch mein Zimmerfenster an den Horizont; die Erde hatte sich zu weit gedreht, als dass die Sonne uns noch erreichen könnte.
Wären wir tiefer in der Wüste gewesen, hätte jetzt bestimmt ein einsamer Kojote geheult und das Trauerspiel um Carlos vervollkommnet.
„Hast du letzte Nacht was gehört?“, fragte Celine am Frühstückstisch.
Ich hob den Blick von meinem Salami-Käse-Erdnussbutter-Brot, das Sean heute entsetzt, aber auch belustigt gemustert hatte, und runzelte irritiert die Stirn.
„Was …?“
„Ich frage wegen Carlos. Ich hab mich nicht getraut nachzusehen, ob er in seinem Bett liegt. Hast du gehört, dass er nach Hause gekommen ist letzte Nacht?“
„Du meinst wohl heute Morgen“, murmelte Sean und nahm einen kräftigen Schluck von seinem morgendlichen Milchkaffee.
Celine warf ihm einen zornigen Blick zu, den ich sofort deuten konnte – sie empfand mehr für Carlos, als sie wohl bereit war zuzugeben. Es war nicht das erste Mal, dass ich dieses Funkeln in ihren Augen sah.
„Leider nein“, erwiderte ich traurig. „Ich hab mich auch schon gefragt, ob er zu Hause ist.“ Um die beiden nicht ansehen zu müssen – das war ein ganz schön kritisches Thema – trank ich einen großen Schluck von meinem Orangensaft.
Abrupt stand Sean auf. „Ich schaue nach“, stieß er tonlos hervor und rauschte in den Flur.
Kurz darauf hörten wir, dass er an Carlos’ Zimmertür klopfte. Celine umfasste ihr Glas Blutorangensaft fester, und ich hielt mitten in der Bewegung inne, mit der ich das halb gegessene Brot an meinen Mund führen wollte. Wir rührten uns nicht.
Wir hörten leise und dumpf ein genervtes Brummen, das eindeutig nach starkem Kater klang, und seufzten in demselben Moment erleichtert auf, in dem Sean ein überraschtes Geräusch ausstieß und die Tür öffnete.
„Mann, Carlos! Wir haben uns Sorgen gemacht! Was war mit unserer Abmachung, hm? Bescheid geben, wenn man nicht nach Hause kommt?“
„Ach, sei doch kein Spielverderber“, murrte Carlos mit seiner belegten Katerstimme.
Zornesröte schoss Celine ins Gesicht; energisch setzte sie sich ihr Glas an die Lippen und trank es in einem Zug leer, bevor sie sich mühsam beherrscht ihrem Toast widmete.
Der Rest des Gesprächs wurde zu leise geführt, sodass wir nichts mitbekamen, aber kurz darauf gab es einen Knall, als die wohl angelehnte Tür gegen die Wand krachte und wir Carlos würgend ins Bad stürzen hörten.
Sean steckte flüchtig den Kopf ins Esszimmer. „Ich geh ihm mal zur Hand“, sagte er rasch und folgte Carlos. Die Tür zum Bad wurde geschlossen.
Verstört legte ich das kleine Stück, das von meinem Brot übrig geblieben war, auf den Teller zurück. Ich wollte etwas sagen, aber mir kamen die richtigen Worte nicht in den Sinn. Eigentlich ist es nichts Dramatisches, Schlimmes oder Besorgniserregendes, einen würgenden Mann mit heftigem Kater über der Kloschüssel hängen zu haben. Es wird erst beunruhigend, wenn man weiß, dass jener Mann ein Alkoholproblem entwickeln könnte, und das war bei Carlos der Fall.
Celine massierte sich die Stelle zwischen den Augenbrauen und seufzte tief. „Ich bin mal gespannt, wo das noch hinführt.“
„Wir sollten irgendwas tun“, sagte ich lahm.
„Carlos lässt sich nichts sagen.
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