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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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auf Veleth im Duett singen gehört. Jared von Geer hat mich unterhalten, der heimatlose Gern Einauge und Coll. Einmal habe ich einen Sänger namens Halland gehört, dessen Lieder waren wesentlich zotiger als das, das du mir vorspielen wolltest, schätze ich. Als ich noch jung war, habe ich sogar Barrion gehört, und mehr als einmal.“
    „Ich bin so gut wie jeder von ihnen“, sagte der Sänger hartnäckig.
    Die alte Frau seufzte. „Hör auf zu schmollen“, sagte sie scharf. „Ich glaube ja, daß du ein prächtiger Sänger bist, aber du wirst nie jemanden in meinem Alter dazu bewegen, es zuzugeben.“
    Nervös klimperte er auf seinem Instrument herum. „Wenn du keinen Sänger an deinem Sterbebett brauchst“, sagte er, „warum hast du dann einen aus Sturmstadt holen lassen?“
    „Ich möchte dir etwas vorsingen“, sagte sie. „Keine Angst, es wird halb so schlimm, obwohl ich weder ein Instrument spielen, noch einen Ton halten kann. Es handelt sich eher um ein Rezitativ.“
    Der Sänger stellte sein Instrument beiseite und verschränkte die Arme, um zuzuhören. „Eine seltsame Bitte“, sagte er, „aber noch bevor ich ein Sänger war, war ich ein guter Zuhörer. Übrigens, ich heiße Daren.“
    „Gut“, sagte sie. „Erfreut, deine Bekanntschaft zu machen, Daren. Schade, daß du mich nicht kanntest, als ich noch vitaler war. Nun hör gut zu. Ich möchte, daß du es auswendig lernst und singst, wenn ich tot bin, falls es dir gefällt. Aber es wird dir gefallen.“
    „Ich kenne schon viele Lieder“, sagte er.
    „Aber dieses nicht“, antwortete sie.
    „Hast du es selbst geschrieben?“
    „Nein“, sagte sie, „nein. Es war eine Art Geschenk, ein Abschiedsgeschenk. Mein Bruder hat es mir vorgesungen, als er starb und mich gebeten, es zu lernen. Er litt damals unter großen Schmerzen, und der Tod bedeutete eine Erlösung für ihn, aber er wollte nicht sterben, bevor er sicher war, daß ich den Text behalten werde. Obwohl ich die ganze Zeit weinte, habe ich es schnell gelernt. Dann starb er. Es war in einer Stadt auf Klein Shotan vor ungefähr zehn Jahren. Du siehst also, das Lied bedeutet mir sehr viel. Würdest du nun bitte zuhören.“
    Sie begann zu singen.
    Ihre Stimme war alt und schrecklich dünn und ihr Versuch, das Lied kräftig zu singen, strengte sie so sehr an, daß sie oftmals husten mußte. Sie kannte sich mit Tonarten nicht aus und konnte weder jetzt, noch in ihrer Jugend einen Ton halten. Aber sie kannte den Text, sie kannte den Text. Schaurige Worte, die von einer einfachen melancholischen Melodie getragen wurden.
    Das Lied handelte vom Tod einer sehr berühmten Fliegerin. Als sie alt wurde, hieß es in dem Lied, und sich ihr Leben dem Ende näherte, fand sie ein Paar Flügel und nahm es, und trug es, wie sie es in ihrer legendären Jugend getan hatte. Sie legte die Flügel an und rannte los, und all ihre Freunde liefen hinter ihr her, und riefen ihr zu, sie solle es nicht tun, sie solle umkehren, da sie sehr alt und gebrechlich war. Außerdem war sie seit Jahren nicht mehr geflogen, und sie war so senil, daß sie vergessen hatte, die Flügel auszubreiten. Aber sie hörte nicht auf ihre Freunde. Bevor sie sie erreichen konnten, war sie an der Klippe angelangt und sprang ab, dann stürzte sie hinunter. Ihre Freunde Schrien vor Entsetzen auf und hielten sich die Augen zu, weil sie nicht sehen wollten, wie sie im Meer eintauchte. Aber im allerletzten Augenblick entfalteten sich ihre Flügel und breiteten sich silberglänzend um ihre Schultern aus. Der Wind fing sie auf und trug sie hinauf. Ihre Freunde hörten ihr Gelächter. Sie kreiste hoch über ihnen, in ihrem Haar spielte der Wind, ihre Flügel waren so strahlend wie die Hoffnung. Sie war wieder jung. Sie winkte ihnen zum Abschied zu, salutierte mit ihren Flügeln und flog in westlicher Richtung davon. Dann verschwand sie im Sonnenuntergang und wurde niemals mehr gesehen.
    Nachdem die alte Frau ihr Lied vorgetragen hatte, sagte niemand ein Wort. Der Sänger hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt und starrte in die Flamme der Öllampe, sein Blick war gedankenverloren.
    Dann mußte die alte Frau entsetzlich husten. „Nun?“ sagte sie.
    „Oh.“ Er lächelte und setzte sich aufrecht hin. „Tut mir leid. Ein nettes Lied. Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie es klingen würde, wenn man es mit der Gitarre begleitet.“
    „Und wenn man es richtig singt, mit einer Stimme, die nicht dauernd schiefe Töne hervorbringt.“ Sie

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