Der dritte Schimpanse
PROLOG
Der Mensch unterscheidet sich unverkennbar von allen Tierarten. Ebenso unverkennbar gehören wir zu den größeren Säugetierarten, bis ins kleinste Detail unserer Anatomie und Moleküle. Dieser Widerspruch ist das faszinierendste Merkmal unserer Art. Jeder kennt ihn, und dennoch begreifen wir immer noch nicht so recht, wie es zu ihm kam und was er bedeutet.
Auf der einen Seite trennt uns von allen anderen Arten eine scheinbar unüberbrückbare Kluft, die uns erst von »Tieren« als Kategorie sprechen läßt. Demzufolge teilen Schnecken, Schlangen und Schimpansen in unseren Augen entscheidende Merkmale miteinander, jedoch nicht mit uns, und fehlen ihnen Eigenschaften, die nur wir besitzen. Zu diesen einmaligen Charakteristika des Menschen gehört unter anderem, daß wir sprechen, schreiben und komplizierte Maschinen bauen. Zum Überleben brauchen wir nicht nur unsere bloßen Hände, sondern eine ganze Reihe von Hilfsmitteln, ohne die wir verloren sind. Die meisten Menschen tragen Kleidung und haben Freude an Kunstwerken, viele glauben an eine Religion. Wir bevölkern den gesamten Erdball, verfügen über einen Großteil seiner Energie und sonstigen Ressourcen und sind dabei, auch in die Tiefe der Meere und ins Weltall vorzudringen. Einzigartig sind wir aber auch, wenn es um unheilvolle Dinge wie Völkermord, Lust an der Folter, Drogenabhängigkeit und die tausendfache Ausrottung von Pflanzen und Tieren geht. Einige Tierarten mögen zwar eine oder zwei dieser Eigenschaften ansatzweise mit uns teilen (zum Beispiel den Gebrauch von Werkzeugen), aber selbst darin übertreffen wir Tiere bei weitem.
Aus praktischer und rechtlicher Sicht gelten Menschen folglich nicht als Tiere. Als Darwin 1859 behauptete, wir stammten von Affen ab, war es kein Wunder, daß die meisten Menschen seine Theorie erst einmal für absurd hielten und darauf bestanden, daß der Mensch eine separate Schöpfung Gottes sei. Viele halten noch heute an diesem Glauben fest, in den Vereinigten Staaten sogar jeder vierte College-Absolvent.
Doch auf der anderen Seite sind wir ganz offenkundig Tiere, mit deren körperlichen Merkmalen, Molekülen und Genen. Sogar unser Platz im Tierreich läßt sich klar bestimmen. Äußerlich ähneln wir so sehr den Schimpansen, daß bereits im 18. Jahrhundert Anatomen, noch fest überzeugt von der Göttlichkeit der Schöpfung, die Gemeinsamkeiten erkannten. Stellen Sie sich nur einige ganz normale Menschen vor, die ihre Kleidung und sonstigen Habseligkeiten ablegen, ihre Sprache verlieren, nur noch grunzen könnten und in einen Zookä-fig neben den Schimpansen gesperrt würden. An diesen sprachlosen Käfigmenschen könnten wir erkennen, was wir in Wirklichkeit sind : Schimpansen mit schwacher Behaarung und aufrechtem Gang. Ein Zoologe von einem fremden Stern würde nicht zögern, den Menschen als dritte Schimpansenart zu klassifizieren, neben dem Zwergschimpansen oder Bonobo von Zaire und dem gewöhnlichen Schimpansen, der im übrigen tropischen Afrika vorkommt.
Molekulargenetische Untersuchungen der letzten Jahre ergaben, daß wir über 98 Prozent unserer genetischen Anlagen mit den beiden anderen Schimpansen gemeinsam haben. Der genetische Abstand zwischen uns und den Schimpansen ist sogar noch geringer als der zwischen so eng verwandten Vögeln wie den Laubsängerarten Fitis und Zilpzalp. Somit schleppen wir den größten Teil unseres uralten biologischen Gepäcks noch immer mit uns herum. Seit Darwins Zeiten wurden die fossilen Überreste Hunderter von Lebewesen, welche die verschiedenen Übergangsstufen vom Affen zum modernen Menschen darstellen, entdeckt, so daß es heute bei vernünftiger Betrachtung unmöglich ist, das einst absurd Erscheinende zu leugnen : Die Evolution des Menschen vom Affen fand tatsächlich statt.
Doch die Entdeckung fehlender Zwischenglieder hat alles nur noch faszinierender gemacht, ohne das Rätsel ganz zu lösen. All unsere Besonderheiten müssen auf das Konto jener zwei Prozent unserer genetischen Anlagen gehen, die sich von denen der Schimpansen unterscheiden. Ziemlich rasch und vor noch gar nicht langer Zeit in unserer Evolutionsgeschichte erlebten wir mehrere geringfügige, aber höchst folgenreiche Veränderungen. Noch vor 100 000 Jahren hätte der Zoologe aus dem Weltall den Menschen als eine Säugetierart unter vielen anderen eingestuft. Es stimmt, daß wir schon damals mehrere Besonderheiten in unserem Verhalten
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