Kinder der Stürme
aufeinander. Zitternd lag das Kind unter seiner Decke und überlegte, ob es vielleicht nicht schon heute Nacht seinen Vater wiedersehen würde.
Aber dem war nicht so.
Endlich ließ der Sturm nach, und der Regen hörte auf. Der Raum war dunkel und ruhig.
Das Mädchen rüttelte seine Mutter wach.
„Was?“ sagte sie. „Was ist los?“
„Der Sturm ist vorüber, Mutter“, sagte das Kind.
Im gleichen Augenblick nickte die Frau und stand auf. „Zieh dich an“, befahl sie dem Mädchen, während sie selber im Dunkeln nach ihren Kleidern suchte. Es würde frühestens in einer Stunde zu dämmern beginnen, aber es war wichtig, so schnell wie möglich am Strand zu sein. Das Kind wußte, daß die Stürme Schiffe zerschmetterten; kleine Fischerboote, die zu lange draußen geblieben waren oder sich zu weit hinausgewagt hatten. Manchmal fielen ihnen sogar große Handelsschiffe zum Opfer. Wenn man nach einem Sturm hinausging, fand man oft an den Strand getriebene Dinge. Einmal hatten sie ein Messer mit einer gehärteten Metallklinge gefunden. Nachdem sie es verkauft hatten, konnten sie zwei Wochen gut essen. Wenn man etwas Wertvolles finden wollte, durfte man jedoch nicht faul sein. Ein fauler Mensch würde bis zur Dämmerung warten – und nichts finden.
Bevor sie nach draußen gingen, hängte sich seine Mutter einen »leeren Leinensack für die Fundstücke über die Schulter. Das Kleid des Mädchens hatte große Taschen. Sie trugen beide Stiefel. Die Frau nahm auch eine lange Stange mit einem geschnitzten Holzhaken am Ende mit, falls sie etwas sahen, das außerhalb ihrer Reichweite im Wasser trieb. „Komm Kind“, sagte sie. „Trödele nicht herum.“
Der Strand war kalt und dunkel. Ein frischer Wind blies beständig aus Westen. Sie waren nicht allein. Drei oder vier andere waren bereits auf und suchten den nassen Strand ab. In ihren Stiefelabdrücken sammelte sich sofort das Wasser. Gelegentlich bückte sich jemand, um irgendetwas genauer zu betrachten. Einer von ihnen trug eine Laterne. Früher, als ihr Vater noch lebte, hatten sie auch eine Laterne besessen, aber später hatten sie sie verkaufen müssen. Ihre Mutter hatte sich oft darüber beklagt. Nachts konnte sie nicht so gut sehen wie ihre Tochter. Manchmal stolperte sie in der Dunkelheit umher und übersah Dinge, die sie eigentlich hätte bemerken müssen.
Sie trennten sich, wie sie es immer taten. Das Kind suchte den Strand in nördlicher Richtung ab, während seine Mutter ihre Suche im Süden aufnahm. „Mach dich auf den Rückweg, wenn es dämmert“, sagte die Mutter. „Du hast viel vor dir. Nach der Dämmerung wird nichts mehr zu finden sein.“ Das Kind nickte und begann eilig mit der Suche.
Die Beute heute Nacht war recht mager. Lange Zeit ging das Mädchen, die Augen auf den Boden gerichtet und angestrengt suchend, am Wasser entlang. Zu gerne hätte es etwas gefunden. Wenn es mit einem Stückchen Metall oder vielleicht einem gelben, gebogenen und schrecklich anzusehenden Szylla-Zahn nach Hause käme, würde ihm die Mutter vielleicht ein Lächeln schenken und ihm sagen, was für ein gutes Kind es war. Das geschah nicht oft. Meistens schalt die Mutter, weil es zu verträumt war und weil es törichte Fragen stellte.
Als der Himmel sich unmerklich aufhellte und gerade die Sterne zu schlucken begann, hatte es nur zwei Stücke milchigen Seeglases und eine Muschel in seinen Taschen. Die Muschel war schwer und so groß wie seine Hand. Die rauhe, genarbte Schale verriet, daß sie schwarzes, butterweiches Fleisch haben würde, das vorzüglich schmeckte. Aber es hatte eben nur eine einzige gefunden. Alle anderen angespülten Gegenstände waren wertloses Treibgut.
Das Kind wollte gerade umkehren, so wie es die Mutter befohlen hatte, als es das Aufblitzen von Metall am Himmel sah – einen plötzlichen Silberglanz, als wäre ein neuer Stern geboren, der alle anderen überstrahlte.
Es war nördlich von ihr, weit draußen über der See. Sie starrte in die Richtung, wo es erschienen war, da blitzte es einen Augenblick später etwas links wieder auf. Sie wußte, was es war: die Flügel eines Fliegers hatten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne gefangen, noch bevor sie die Erde erreichten.
Das Kind wollte hinunterlaufen und weiter beobachten. Es sah gern dem Flug der Vögel zu, dem kleinen Regenkuckuck, den unbändigen Nachtfalken oder den Aasvögeln mit ihren großen Silberflügeln, aber die Flieger waren schöner als alle anderen Vögel. Doch die
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