Kinder der Stürme
nicht so übel, Tya“, sagte sie. „Ich habe viele Freunde dort.“
„Du bist keine Einflüglerin“, sagte Tya.
„Oh, Val Einflügler hat mir einmal gesagt, daß ich die erste Einflüglerin wäre, ob mir das paßte oder nicht.“
Tya sah sie nachdenklich an. „Nein“, sagte sie schließlich. „Nein, das stimmt nicht. Du bist etwas anderes, Maris. Du bist weder einer von den alten Fliegern, noch ein Einflügler. Ich weiß nicht, was du bist. Aber du mußt sehr einsam sein.“
Sie beendeten das Essen in unangenehmer, gespannter Stille.
Nachdem die Dessertschälchen abgeräumt waren, verabschiedete der Landmann seine Familie, den Rat und die Landwachen. Zurückgeblieben waren nur die vier Flieger und Evan. Er wollte auch Evan fortschicken, aber der Heiler machte keine Anstalten zu gehen. „Maris befindet sich noch in meiner Obhut“, sagte er. „Ich bleibe bei meiner Patientin.“ Der Landmann warf ihm einen verärgerten Blick zu, aber er ging nicht weiter darauf ein.
„Nun gut“, sagte er bissig. „Wir haben etwas Geschäftliches zu besprechen. Fliegergeschäfte.“ Er wandte seinen Blick zu Maris. „Ich sage es frei heraus. Ich habe eine Nachricht von meinem Kollegen aus Klein Amberly erhalten. Er erkundigt sich nach deinem Gesundheitszustand. Deine Flügel werden gebraucht. Wann kannst du nach Klein Amberly zurückkehren?“
„Das weiß ich nicht“, sagte Maris. „Wie du siehst, geht es mir besser. Aber ein Flug von Thayos nach Amberly ist für jeden Flieger eine Anstrengung, und ich verfüge noch nicht über meine volle Kraft. Sobald ich kann, werde ich Thayos verlassen.“
„Ein langer Flug“, stimmte Jem zu, „besonders für jemanden, der lange nicht geflogen ist.“
„Ja“, sagte der Landmann. „Der Heiler und du, ihr habt viele Spaziergänge unternommen. Du scheinst wieder gesund zu sein. Auch hat man mir gesagt, daß deine Flügel repariert wurden. Aber du fliegst nicht. Du bist nicht einmal bei der Fliegerklippe gewesen. Du trainierst nicht. Warum?“
„Ich bin noch nicht soweit“, sagte Maris.
„Landmann“, sagte Jem, „es ist, wie ich dir sagte. Sie ist noch nicht wieder ganz in Ordnung, auch wenn es anders aussieht. Wenn sie es könnte, würde sie fliegen.“ Er sah sie an. „Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe“, sagte er, „aber ich sage die Wahrheit. Auch ich bin ein Flieger, wie du weißt. Ein Flieger fliegt. Man kann einen gesunden Flieger nicht am Boden festhalten. Und du bist kein gewöhnlicher Flieger. Man erzählte mir, daß du die Fliegerei mehr liebst als alles andere!“
„Das habe ich“, sagte Maris. „Und das tue ich.“
„Landmann …“, begann Evan.
Maris drehte den Kopf und sah ihn an. „Nein, Evan“, sagte sie. Das geht dich nichts an. Ich werde es ihm sagen.“ Sie richtete ihren Blick auf den Landmann. „Ich bin noch nicht wieder vollkommen in Ordnung“, gab sie zu. „Mein Gleichgewichtssinn … Etwas stimmt nicht damit. Aber es wird besser. Es ist nicht mehr so schlimm, wie es einmal war.“
„Das tut mir leid“, sagte Tya schnell. Jem nickte.
„Oh, Maris“, sagte Corina. Sie wirkte tiefbetroffen. Corina hatte nichts von der Boshaftigkeit ihres Vaters. Sie wußte, was der Gleichgewichtssinn für einen Flieger bedeutete.
„Kannst du fliegen?“ sagte der Landmann.
„Ich weiß es nicht“, gestand Maris. „Ich brauche mehr Zeit.“
„Du hattest Zeit genug“, sagte er. Er wandte sich an Evan. „Heiler, kannst du mir versichern, daß sie wieder vollkommen genesen wird?“
„Nein“, sagte Evan traurig.
Der Landmann blickte finster drein. „Eigentlich müßte sich der Landmann von Klein Amberly mit dieser Angelegenheit befassen, aber nun muß ich mich darum kümmern. Und ich sage, ein Rieger, der nicht fliegen kann, ist kein Flieger und hat kein Anrecht auf die Flügel. Da deine vollkommene Heilung nicht gewiß ist, würde nur ein Narr darauf warten. Darum frage ich dich noch einmal. Maris, kannst du fliegen?“
Sein Blick haftete auf ihr. Seine Mundwinkel zuckten. Maris wußte ‚daß sie keine Zeit mehr hatte. „Ich kann fliegen“, sagte sie.
„Gut“, sagte der Landmann. „Heute nacht ist ein guter Zeitpunkt. So gut wie jeder andere. Du sagst, du kannst fliegen. Nun gut. Hole deine Flügel und beweise es uns.“
Der Marsch durch den feuchten dunklen Tunnel dauerte genausolange wie beim letztenmal. Und sie kam sich genauso einsam vor, obwohl sie diesmal in Begleitung war. Niemand sagte etwas. Das
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