Kinder der Stürme
Kiesweg zur Hütte hinauf.
Das verwitterte Sandsteingebäude bestand aus zwei Räumen. Der Hauptraum war hell erleuchtet und durch ein loderndes Feuer überheizt. Er war laut, überfüllt und nach dem Flug durch die frische Luft wenig einladend. Als Maris nach einigen Freunden Ausschau hielt, schienen die Gesichter der Flieger zu verschmelzen. S’Rella stand nervös hinter ihr. Sie hängten ihre Flügel an die Haken entlang der Wand und bahnten sich einen Weg durch die Menge. Ein schwergewichtiger, mittelalter Mann mit Vollbart goß eine Flüssigkeit in den großen duftenden Stewkessel, der über dem Feuer hing. Irgend etwas an ihm ließ Maris automatisch zurückblicken, nachdem sie an ihm vorübergegangen waren. Mit einem eigenartigen kleinen Schrecken erkannte sie den übergewichtigen Koch. Seit wann war Garth so alt und fett geworden?
Sie wollte gerade auf ihn zugehen, als dünne Arme sie von hinten umfaßten und drückten. Sie vernahm ein Flüstern mit blumigem Akzent.
„Shalli!“ sagte sie und drehte sich um. Sie bemerkte den rundlichen Bauch. „Ich habe nicht erwartet, dich hier zu treffen. Ich hörte, du seist schwang …“
Shalli legte einen Finger auf ihre Lippen. „Pst. Das erzählt mir Corm auch immer. Aber ich erkläre ihm dann, daß unser kleiner Flieger das Fliegen von Anfang an lernen soll. Außerdem war ich wirklich vorsichtig und flog sehr langsam und ohne jedes Risiko. Das hier konnte ich mir doch nicht entgehen lassen. Corm wollte, daß ich ein Boot nehme. Kannst du dir das vorstellen?“ Shallis hübsches Gesicht nahm wieder einen komischen Ausdruck an, der sich ständig änderte, während sie sprach.
„Aber du willst nicht an den Wettkämpfen teilnehmen?“
„O nein. Es wäre unfair, wenn ich mit Ballast fliegen müßte!“ Sie streichelte über die Rundung und lachte. „Ich fungiere als Schiedsrichter. Außerdem habe ich Corm versprochen, daß ich anschließend zu Hause bleiben und eine gute kleine Mutter sein werde, bis das Baby kommt. Es sei denn, es gäbe einen Notfall.“
Plötzlich fühlte Maris ein Schuldgefühl in sich hochsteigen. Sie wußte, daß die „Notfälle“, von denen Shalli sprach, durch ihre Abwesenheit von Amberly hervorgerufen wurden. Sie schwor sich, nach den Wettkämpfen zu Hause zu bleiben und ihre Pflicht zu erfüllen.
„Shalli, ich möchte dir gerne eine Freundin von mir vorstellen“, sagte Maris. S’Rella hielt sich scheu im Hintergrund, aber Maris zog sie mit sanfter Gewalt nach vorn. „Das ist S’Rella, unser vielversprechendstes Talent. Heute flog sie mit mir von Holzflügel herüber; das war ihr bisher längster Flug.“
„Tatsächlich.“ Shalli runzelte die Stirn.
„S’Rella, das ist Shalli. Sie kommt wie ich aus Klein Amberly. Sie begleitete mich auf meinen ersten Flügen, als ich gerade die Flügel zu gebrauchen lernte.“
Die beiden tauschten höfliche Begrüßungsformeln aus. Dann maß Shalli S’Rella mit einem abschätzenden Blick und sagte: „Viel Glück bei den Wettkämpfen. Aber gewinn bloß nicht gegen Corm. Ich glaube, ich würde verrückt, wenn er ein Jahr lang jeden Tag zu Hause rumhängen müßte.“
Shalli lächelte, aber S’Rella schien den Scherz ernst zu nehmen. „Ich möchte niemanden verletzen“, sagte sie, „aber einer muß verlieren. Und wie alle anderen Flieger möchte auch ich gewinnen.“
„Hm, nun, das ist nicht ganz dasselbe“, sagte Shalli. „Aber ich habe nur einen Scherz gemacht, mein Kind. Du solltest dir Corm nicht als Gegner wünschen. Du hättest kaum eine Chance gegen ihn.“ Sie blickte sich im Raum um. „Entschuldigt mich bitte, aber ich sehe, Corm hat ein Kissen für mich gefunden, und wenn ich ihn nicht kränken will, setze ich mich jetzt besser. Wir sehen uns später, Maris. Es war nett, dich kennenzulernen, S’Rella.“
Sie beobachteten, wie sie ohne Schwierigkeiten durch die Menge ging.
„Hätte ich?“ fragte S’Rella mit besorgter Stimme.
„Hättest du was?“
„Hätte ich eine Chance gegen Corm?“
Maris sah sie unglücklich an, denn sie wußte nicht, was sie antworten sollte. „Er ist sehr gut“, brachte sie endlich heraus. „Er fliegt schon seit fast zwanzig Jahren und hat bei den Wettkämpfen zahlreiche Preise gewonnen. Du würdest ihm wahrscheinlich unterliegen. Aber das ist keine Schande, S’Rella.“
„Wo ist er?“ fragte S’Rella mürrisch.
„Dort drüben, bei Shalli. Der mit den dunklen Haaren, in Schwarz und Grau.“
„Er sieht gut aus“, sagte
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