Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Vorwort
Ein Blaubär hat siebenundzwanzig Leben. Dreizehneinhalb davon werde ich in diesem Buch preisgeben, über die anderen werde ich schweigen. Ein Bär muß seine dunklen Seiten haben, das macht ihn attraktiv und mysteriös.
Man fragt mich oft, wie es früher war. Dann antworte ich: Früher gab es von allein viel mehr. Ja, es gab Inseln, geheimnisvolle Königreiche und ganze Kontinente, die heute verschwunden sind - überspült von den Wellen, versunken im ewigen Ozean. Denn die Meere steigen immer höher, sehr langsam, aber unerbittlich, bis eines Tages unser ganzer Planet von Wasser bedeckt sein wird - nicht umsonst steht mein Haus auf einer hohen Klippe, und nicht umsonst ist es ein immer noch seetüchtiges Schiff. Von diesen Inseln und Ländern will ich erzählen, und von den Wesen und Wundern, die mit ihnen versunken sind.
Ich müßte lügen (und es ist ja hinlänglich bekannt, daß das nicht meiner Natur entspricht), wenn ich behaupten würde, meine ersten dreizehneinhalb Leben wären ereignislos verlaufen. Ich sage nur:
Zwergpiraten. Klabautergeister. Waldspinnenhexen. Tratschwellen. Stollentrolle. Finsterbergmaden. Eine Bergnutze. Ein Riese ohne Kopf. Ein Kopf ohne Riese. Wüstengimpel. Eine gefangene Fata Morgana. Schlafwandelnde Yetis. Ein ewiger Tornado. Rikschadämonen. Vampire mit schlechten Absichten. Ein Prinz aus einer anderen Dimension. Ein Professor mit sieben Gehirnen. Eine Süße Wüste. Barbaren ohne Umgangsformen. Hundlinge. Ein Regenwaldzwerg mit Nahkampfausbildung. Denkender Sand. Fliegende Maulwürfe. Ein Monsterschiff. Eine Ofenhölle. Eine kulinarische Insel. Unterirdische Sandmänner. Kanaldrachen. Dramatische Lügenduelle. Dimensionslöcher. Voltigorkische Baßrüttler. Randalierende Bergzwerge. Die Unsichtbaren Leute. Nattifftoffen. Viereckige Sandstür-
me. Venedigermännlein. Nette Midgardschlangen. Eklige Kakertratten. Das Tal der verworfenen Ideen. Witschweine. Großfüßige Berten. Rostige Berge. Horchlöffelchen. Zeitschnecken. Teufelselfchen. Alraunen. Olfaktillen. Ein Malmstrom. Draks. Fatome. Gennf. Tödliche Gefahren. Ewige Liebe. Rettungen in allerletzter Sekunde ...
Aber ich will nicht vorgreifen!
Denke ich an diese Zeiten zurück, übermannt mich die Wehmut. Aber die Uhr des Lebens läßt sich nicht zurückdrehen. Das ist bedauerlich, aber gerecht.
So folgt jetzt, wie es sich gehört, der Winter auf den Herbst. Die Sonne, kalt wie der Mond, sinkt in den eisgrauen Ozean, und der Wind riecht nach Schnee. Da ist auch noch ein anderer Geruch in der Luft, der Geruch von Feuern, die in der Ferne brennen, mit einem Hauch Zimt darin - so riecht das Abenteuer! Früher bin ich diesem Geruch immer gefolgt, aber heute habe ich Wichtigeres zu tun: Meine Lebenserinnerungen müssen der Nachwelt erhalten werden. Die ersten Frostgespenster strecken ihre klammen Finger durch die Dielen meiner Kajüte und greifen nach meinen Füßen. Unsichtbare Eishexen malen Schneeblumen auf die Fenster. Nicht gerade meine bevorzugte Jahreszeit, aber genau der richtige Anlaß, eine Kanne heißen Kakao zu kochen (mit einem winzigen Schuß Rum), dreizehneinhalb gestopfte Pfeifen, dreizehneinhalb Marmeladenbrote und dreizehneinhalb gespitzte Bleistifte, bereitzulegen und zu beginnen, meine ersten dreizehneinhalb Leben niederzuschreiben. Ein kühnes, kräftezehrendes Unterfangen von epischem Ausmaß, wie ich befürchte. Denn, wie schon gesagt: Damals gab es von allem viel mehr - natürlich auch mehr Abenteuer.
1.
Mein Leben
als
Zwergpirat
E in Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt - meins nicht. Zumindest weiß ich nicht, wie ich ins Leben gekommen bin. Ich könnte - rein theoretisch - aus dem Schaum einer Welle geboren oder in einer Muschel gewachsen sein, wie eine Perle. Vielleicht bin ich auch vom Himmel gefallen, in einer Sternschnuppe.
Fest steht lediglich, daß ich als Findelkind ausgesetzt wurde, mitten im Ozean. Meine erste Erinnerung ist, daß ich in rauher See trieb, nackt und allein in einer Walnußschale, denn ich war ursprünglich sehr, sehr klein. Ich erinnere mich weiterhin an ein Geräusch. Es war ein sehr großes Geräusch. Wenn man noch so klein ist, neigt man dazu, die Dinge zu überschätzen, aber heute weiß ich, daß es tatsächlich das größte Geräusch der Welt war.
Erzeugt wurde es vom monströsesten, gefährlichsten und lautesten Wasserwirbel der sieben Weltmeere - ich ahnte ja nicht, daß es der gefürchtete Malmstrom war, auf den ich da in meinem
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