Kinder der Stürme
anstarrte, drehte er sich um. Garth hörte auf zu sticheln. Dorrel streichelte Maris und zeichnete sanft die Linie ihres Kinns nach.
„Du zitterst ja immer noch“, sagte er und wickelte sie in ein Handtuch. „Garth, nimm die Flasche vom Feuer, bevor sie explodiert, und gib uns zu trinken.“
Der Kivas, ein heißer Gewürzwein, der nach Rosinen und Nüssen schmeckte, wurde in großen Steinkrügen serviert. Der erste Schluck gab Maris das Gefühl, als flösse Feuer durch ihre Adern. Ihr Schüttelfrost ließ nach.
Garth lächelte ihr zu. „Das tut gut, nicht wahr? Eigentlich viel zu schade für so einen Banausen wie Dorrel. Ich habe die Flaschen einem ekligen alten Fischer abgeluchst, der sie in einem Wrack fand und nicht wußte, welche Kostbarkeit er besaß. Seine Frau weigerte sich, das Zeug in der Hütte aufzubewahren. Ich gab ihm dafür ein paar lumpige Metallperlen, die ich für meine Schwester besorgt hatte.“
„Und was bekommt nun deine Schwester?“ erkundigte sich Maris und nahm noch einen Schluck.
Garth zuckte die Schultern. „Sie? Es sollte eine Überraschung sein. Ich bringe ihr eben von meinem nächsten Flug nach Poweet etwas mit. Vielleicht bemalte Eier.“
„Wenn du sie auf dem Heimflug nicht wieder verhökerst“, sagte Dorrel. „Falls deine Schwester jemals ein Geschenk von dir bekommt, wird ihr Schock größer sein als ihre Freude. Du bist eine echte Krämerseele. Ich glaube, wenn dir jemand ein gutes Angebot macht, verschacherst du sogar deine Flügel.“
Garth räusperte sich empört. „Halt den Schnabel, du Plappergans.“ Er wandte sich Maris zu. „Wie geht es deinem Bruder? Man sieht ihn so selten.“
Maris nahm noch einen Schluck und preßte die Hände um den Krug. „Nächste Woche wird er flugjährig“, sagte sie zögernd. „Dann gehören die Flügel ihm. Ich kümmere mich nicht darum, was er treibt. Vielleicht will er nichts mit dir zu tun haben.“
„Huh“, brachte Garth hervor. „Aber warum?“ seine Stimme klang gekränkt. Maris winkte ab und zwang sich zu lächeln. Sie hatte ihn bloß hänseln wollen. „Ich mag ihn gern“, fuhr Garth fort, „Wir alle mögen ihn, nicht wahr, Dorrel? Er ist jung und ausgeglichen. Vielleicht ein bißchen zu vorsichtig, aber er wird sich verbessern. Er ist irgendwie anders als wir, aber er kann Geschichten erzählen und singen. Die Landgebundenen werden beim Anblick seiner Flügel in Ekstase kommen.“ Garth schüttelte verwundert den Kopf. „Wo lernt er all diese Lieder? Ich bin viel weiter herumgekommen als er, aber …“
„Er dichtet sie selbst“, sagte Maris.
„Selbst?“ wiederholte Garth beeindruckt. „Er wird unser Sänger sein. Beim nächsten Sängerwettstreit werden wir den Östlichen Inseln den Preis abnehmen. Die Westlichen Inseln haben zwar immer die besten Flieger“, sagte er stolz, „aber unsere Sänger haben noch keine Furore gemacht.“
„Beim letzten Treffen habe ich die Westlichen Inseln vertreten“, widersprach Dorrel.
„Ja eben.“
„Du kreischst wie eine Seekatze.“
„Ja“, sagte Garth, „ich behaupte ja auch nicht, daß ich Talent besitze.“
Maris hatte Dorrels Antwort überhört. Ihre Gedanken richteten sich nicht auf das Gespräch. Sie hatte die Hände um den Krug gelegt und sah nachdenklich in die Flammen. Hier oben in Eyrie hatte sie ihren inneren Frieden wiedergefunden, obwohl Garth Coli erwähnt hatte. Sie fühlte sich seltsam geborgen. Hier oben auf dem Fliegerfelsen lebte niemand, und doch strahlte er eine heimelige Atmosphäre aus. Es war ihr Zuhause. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie nie wieder hierherkommen sollte.
Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie das erste Mal nach Eyrie gekommen war. Es war vor sechs Jahren gewesen, einen Tag nachdem sie flugjährig geworden war. Sie war ein schüchternes dreizehnjähriges Mädchen gewesen und stolz darauf, so einen weiten Flug allein gewagt zu haben, aber auch verängstigt und scheu. Als sie angekommen war, hatte gerade ein Fest stattgefunden. Mehr als ein Dutzend Flieger waren am Feuer versammelt gewesen und hatten in ausgelassener Stimmung getrunken. Nachdem sie eingetreten war, waren alle verstummt und hatten sie angelächelt. Garth war damals ein stiller Bursche und Dorrel ein magerer Junge gewesen, kaum älter als sie selbst. Sie hatte niemanden gekannt. Helmer, ein Flieger mittleren Alters von den Nachbarinseln, war dabei gewesen und hatte sie einander vorgestellt. Noch heute erinnerte sie sich an die Gesichter und
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