Kinder des Donners
rüde
Wachgerütteltwerden durch die Wirklichkeit... Wenn sich der Gläubige der Realität überhaupt noch aussetzt, wenn er nicht nur noch zu Seinesgleichen flieht, ist die- se Schockbehandlung unausbleiblich: das Reale setzt sich als stärker über wolkige Lüge hinweg — eine ziem- lich fürchterliche Bezahlung zumeist, die für eine ohne- hin zweifelhafte Heilung zu entrichten ist. Vor allem, wenn auf der Habenseite des Befallenen nur kurzfristige Illusionen stehen, die Trugbilder der Kraft des Unterbe- wußtseins, die eingebildete Macht Positiven Denkens,
der entsetzliche Irrtum, daß das Bewußtsein das Sein
bestimmen könne.
Mit >Menschenspiel< und >Träumende Erde< gibt Brunner all den Scharlatanen und Jenseitsianern — wie den Adepten — die einzig mögliche Antwort: Er lacht sie aus. Nagelt sie fest in ihrer haarsträubenden Lächer- lichkeit. Zeigt vor allem im >Menschenspiel< durch die bloße Rapportierung, durch die bloße Massierung, durch Ausschöpfen des ganzen Repertoires wie ober-
flächlich, wie reine Geschäftssache, wie betrügerisch,
wie trivial-banal-dumm all dieser Esoterik-Seich tat-
sächlich ist. Und wie bombastisch unverständlich, daß
die Schlepper doch immer wieder >potentielle Opfer< finden, daß denen tatsächlich immer noch Menschen auf den Leim gehen — den Menschenfischern in die Netze, als Schafe zur Herde: Auch diese Welt Brunners ist leider keine Vision, ist leider hier, heute. Erfunden sind die Geschichten, die Stories — die Welten sind nur zu real, zu leicht erkennbar:
»Die Erde war schon so lange reich, daß ihre Behör- den sich leisten konnten, nachsichtig mit den Bürgern
umzugehen«, (Fiktion) »und viele der früheren Motive für ein Verbrechen waren ungültig geworden, wie bei- spielsweise Armut« — »niemand auf dem Planeten mußte Not leiden« (Fiktion) »außer den Besitzlosen, und sie hatten ihr Geschick selbst verschuldet« (Reali-
tät): nicht nur in Wahlkämpfen mag so manchem kon-
servativen Politiker nichts daran als Fiktion erscheinen, mancher Enzyklika wäre wohl nur der letzte Halbsatz
nicht zu unterschreiben, »wir Menschen halten uns heutzutage im allgemeinen so gut an die Gesetze, daß keine besonders intelligenten Leute bei der Polizei be-
nötigt werden ...«, an anderer Stelle nennt Brunner die- se Spezies denn auch despektierlich und wahr >unifor-
mierte Abführmittel<.
Die >Bürger der Galaxis< (dt. 1970, orig. >Into The Sla- ve Nebula<, 1968) leben in einer Zeit, in der es vorstell-
bar ist, daß Menschen, die eine Heilmethode für irgend- eine Krankheit gefunden haben, ihr Wissen nur gegen hohe Bezahlung verraten. John Brunner imaginiert eine Welt, in der Kinder reicher Leute entführt werden zwecks Erpressung von Lösegeld, schreckliche Bräuche sind aufgekommen, wie daß sich Hinterbliebene nach der Beerdigung die Bäuche vollstopfen und kannenwei- se Bier trinken ...
und dann blüht natürlich der Sklavenhandel. Dessen Rechtfertigung, daß blauhäutige Menschen schon durch ihre andere Hautfarbe automatisch zum Sklaven vorbe- stimmt seien, mutet angesichts gar nicht so alter Erdge- schichte ziemlich vertraut an: Blaue Menschen haben
keine Seele, sind daher keine Menschen, dürfen daher behandelt werden, wie es ihren Besitzern Spaß macht... eine beklemmende Vision, weil es wieder ein- mal keine ist, >Besitzer< sind heute diejenigen, die be- stimmen dürfen, wer Arbeit und Brot hat und wer nicht.
Die besten Schwindler kommen — galaxisweit — von der Erde, die Außerirdischen aber lernen rasch: Ist es
wertvoller, Leben von Menschen zu bewahren, die an-
dere Leute nicht töten wollen, als Leben von Menschen
zu bewahren, die Mörder sind? Ein Hauch von Schola- stik durchweht das All ... nicht alles, was die allmählich
befreiten Sklavenwelten über die Erde an Schlüssen zie- hen, muß stimmen — es gibt mitnichten nur Verbrecher
und Großkapitalisten —, der Erde aber mag es eine Leh- re sein, die sie bestimmt nicht so bald vergißt, heißt es am Ende des Romans, als ein wenig auf den imperiali-
stischen Finger geschlagen wird ... Brunnersches
Wunschdenken zwecks optimistischen Ausblicks, in
Wahrheit weiß er ganz genau: Nie wird die Erde etwas
lernen, stets wird sie die gleichen Fehler immer wieder begehen und wieder und wieder... nicht >die Erde<, aber immer die gleichen und gleichen und gleichen Menschen; passend das grandiose Bild aus >Ein Stern kehrt zurück< (dt. 1972, orig. >Catch A Falling Star<,
1968): Die singend von
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