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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskapaden
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1
    In der Kutsche saß nur ein Fahrgast,
bequem und völlig entspannt in die Kissen gelehnt. Er hatte die Beine ungeniert
von sich gestreckt und die Hände in den geräumigen Taschen seines Mantels
vergraben. Während die Kutsche über das Kopfsteinpflaster der Stadt holperte,
fiel von Zeit zu Zeit der Schein einer Laterne oder Fackel in das Innere des Wagens
und ließ eine Diamantnadel oder ein Paar sehr großer Schuhschnallen
aufblitzen, aber da der Gentleman seinen goldbordierten Hut tief in die Stirn
gezogen hatte, blieb sein Gesicht im Dunkel.
    Die Kutsche
fuhr schnell, gefährlich schnell sogar für eine Straße in London, und erreichte
schon bald die Stadtgrenze, von wo sie in Richtung Hounslow Heath weiterraste.
Schwaches Mondlicht erhellte den Pfad, doch die beiden Männer auf dem Bock
konnten ihn nur so undeutlich erkennen, daß der eine – es war der Reitknecht –
seiner seit St. James's aufgespeicherten Nervosität plötzlich mit den Worten
Luft machte: «Herrgott, ist das ein Höllentempo! Nur so weiter, und wir werden
gleich im Graben liegen!»
    Die einzige
Antwort war ein Achselzucken und ein kurzes, spöttisches Lachen. Die Kutsche
schwankte bedenklich über ein besonders holpriges Wegstück, und der Reitknecht
sagte ärgerlich, wobei er sich mit beiden Händen an seinen Sitz klammerte: «Du
bist ja verrückt! Glaubst du vielleicht, der Teufel ist dir auf den Fersen? Daß
ihm das nichts ausmacht! Oder ist er betrunken?» Dem flüchtigen Blick, den er
dabei über die Schulter warf, war zu entnehmen, daß sich das letztere auf ihren
Fahrgast bezog.
    «Wenn du
erst mal eine Woche in seinem Dienst stehst, hast du dich daran gewöhnt»,
antwortete der Kutscher.
    «Vidal
liebt ein flottes Tempo, verstanden?»
    «Er ist
bestimmt sternhagelvoll – und schon halb hinüber!»
    «Der? Nie
im Leben!»
    Doch der
Mann in der Kutsche hätte dem Anschein nach ohne weiteres schlafen können.
Sein langer, schlanker Körper folgte entspannt den Bewegungen des Wagens, das
Kinn war in die Falten der . Krawatte gesunken, und nicht einmal beim
ärgsten Schlingern griff er nach der Lederschlaufe, die neben ihm hing. Seine
Hände blieben sogar in den Taschen, als ein Schuß knallte und die Kutsche mit
einem Ruck hielt. Aber offensichtlich war er wach, denn er hob gähnend den Kopf
und lehnte sich dann wieder, allerdings unmerklich dem rechten Fenster
zugewandt, in die Kissen zurück.
    Draußen
herrschte beträchtliche Aufregung; eine barsche Stimme erhob sich, der
Kutscher verwünschte den Reitknecht, weil er nicht rechtzeitig die in seiner
Obhut befindliche schwere Hakenbüchse abgefeuert hatte, und die Pferde stiegen
und schlugen wiehernd aus.
    Ein Reiter
hielt vor dem Kutschenschlag und steckte den Lauf einer großen Pistole herein.
Wie ein Scherenschnitt zeichnete sich die Silhouette eines Kopfes im Mondlicht
ab, und eine Stimme befahl: «Her mit den Klunkerchen, mein Herzblatt!»
    Es sah so
aus, als ob der Mann in der Kutsche sich überhaupt nicht rührte, aber plötzlich
zerriß ein blendender Feuerstrahl mit einem scharfen Knall die Dunkelheit. Der
Schatten vor dem Fenster verschwand. Gleich darauf hörte man einen dumpfen
Aufprall, dann Hufegeklapper, einen überraschten Ausruf und das verspätete
Donnergrollen der Hakenbüchse.
    Der Mann in
der Kutsche zog lässig die rechte Hand aus der Tasche. Er warf eine noch
rauchende, elegante, silberbeschlagene Pistole auf den Sitz neben sich und
zerknitterte mit auffallend langen weißen Fingern das verkohlte Stück seines
Mantels.
    In diesem
Augenblick wurde der Schlag aufgerissen, und der Kutscher sprang auf das
hastig heruntergeklappte Trittbrett. Der Lichtkreis seiner Laterne erhellte
das Innere des Wagens und fiel auf das Gesicht des Passagiers. Es war ein
verblüffend junges Gesicht mit dunklem Teint und vollendet schön geschnittenen,
lebhaften Zügen, auf denen ein Ausdruck unendlicher Langeweile lag.
    «Nun?»
fragte der Gentleman gelassen.
    «Straßenräuber,
Mylord. Der Neue ist an solche Vorfälle sozusagen noch nicht gewöhnt, deshalb
kam er wohl nicht gleich mit der Büchse zurecht. Es waren drei Kerle – haben
sich jetzt davongemacht, das heißt, eigentlich nur zwei.»
    «So?»
    Der
Kutscher schien ziemlich verwirrt. «Den dritten haben Sie getötet, Mylord.»
    «Selbstverständlich»,
sagte der Gentleman. «Aber du bist wohl kaum hier, um mir das mitzuteilen.»
    «Nein,
Mylord – es ist – sollen wir nicht – äh – sein Gehirn liegt nämlich auf

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