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Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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Ertrinken, Salz oder Kälte schützte, und das Seevolk mit seinem kalten Fleisch liebte es, ihre wärmeren Körper zu umarmen.
    Über Tauno entflammte die Sonne die Wellen und bildete ein Dach aus glänzenden Rippen, die ein Muster auf den weißen Sand unter ihm malten. Um ihn leuchtete das Wasser in den Farben von Smaragden und Amethysten, bis die Entfernung es verdunkelte. Tauno spürte, wie es an ihm vorbeirauschte, wie es auf das Spiel seiner Muskeln mit Liebkosungen wie eine Geliebte antwortete. Goldbrauner Tang strömte aus Muschelfelsen nach oben und schwankte mit jeder Bewegung der Fluten. Eine Krabbe kroch über den Meeresgrund, ein Thunfisch, blau und weiß und schön, glitt weiter weg vorbei. Das Wasser war nie dasselbe: hier kalt, da mild, hier bewegt, da ruhig, und außer dem Geruch nach Tang, den die Menschen am Strand wahrnehmen, trug es tausend verschiedene Geschmäcke und Düfte mit sich. Auch war es für die, die hören konnten, voller Geräusche, voll Glucksen, Schwatzen, Kichern, Krächzen, Spritzen. Schwapp-schwapp-schwapp klatschte es gegen das Land, und durch jeden Wirbel und jedes Gurgeln fühlte Tauno das gewaltige, langsame Ziehen der Gezeiten.
    Jetzt war Liri ganz deutlich zu sehen: Häuser, die kaum mehr waren als Bäume aus Meerespflanzen oder Rahmen aus Elfenbein und Walrippen, in dieser Welt des geringen Gewichts zart und phantastisch gestaltet, umgeben von weiten Gärten mit Schlingpflanzen und Anemonen. In der Mitte stand die Halle seines Vaters, des Königs: Groß, alt, Stein und Koralle in feinen Farbabstufungen, geschmückt mit Schnitzereien, die Fische und Vögel und andere Tiere darstellten, die zum Meer gehören. Die Pfosten der Haupttür zeigten die Gestalten des Herrn Ägir und der Herrin Ran, der Fenstersturz war ein Albatros mit zum Auffliegen ausgebreiteten Schwingen. Über den Wänden erhob sich eine Kuppel aus Kristall, zur Oberfläche hin offen. Der König hatte sie für Agnete bauen lassen, damit sie, wann immer sie wollte, im Trockenen sein, Luft atmen, an einem Feuer unter Rosen und was seine Liebe ihr sonst noch vom Land herbeiholte, sitzen konnte.
    Das Seevolk glitt umher – Gärtner, Handwerker, ein Jäger, der eine Koppel junger Seehunde trainierte, ein Austernsammler, der an einer Bude einen Dreizack kaufte, ein Junge, der ein Mädchen an der Hand auf eine mit weichem Licht erfüllte Höhle zuführte. Bronzeglocken, vor langer Zeit aus einem untergegangenen Schiff geholt, wurden geläutet. Sie klangen klarer durch das Wasser als je durch die Luft.
    »Harru!« rief Tauno. Plötzlich schoß er vorwärts; Rinna und Raxi schwammen ihm zur Seite. Alle drei stimmten das »Lied der Heimkehrenden« an, das er für sie gemacht hatte:
     
    O Heimatland, Herzensstrand, hier ruf ich Heil dir!
    Den Tag weiht dem Tanz, laßt des Tritonshorn Tosen
    Und Kessellärm künden mein Kommen. Ich kann euch
    der Mären gar manche vermelden. Die Möwen
    Begrüßten, umgeben von goldenem Glanze, Die Sonne. Dort ...
     
    Plötzlich fingen Taunos Gefährtinnen an zu schreien. Sie hielten sich die Hände über die Ohren, sie kniffen die Augen zusammen, sie ruderten blindlings mit den Armen und stießen mit den Beinen, bis das Wasser schäumte.
    Tauno sah, daß dieser Wahnsinn ganz Liri erfaßte. »Was ist das?« rief er voller Entsetzen. »Was geschieht da?«
    Rinna jammerte laut. Sie konnte ihn weder sehen noch hören. Er hielt sie fest. Sie wehrte sich gegen ihn. Mit seiner ganzen Kraft packte er sie von hinten mit den Beinen und einem Arm. Mit der anderen Hand griff er in ihr seidiges Haar, um ihren zuckenden Kopf festzuhalten. Er legte den Mund an ihr Ohr und beschwor sie: »Rinna, Rinna, ich bin es, Tauno. Ich bin dein Freund. Ich möchte dir helfen.«
    »Dann laß mich los!« Ihre Stimme brach vor Schmerz und Angst. »Das Läuten füllt die See, es schüttelt mich wie ein Hai, meine Knochen fallen auseinander ... das Licht, die grausamen Flammen, blenden, brennen brennen ... die Worte ... laß mich los, oder ich sterbe!«
    Völlig verwirrt gab Tauno sie frei. Er stieg ein paar Ellen in die Höhe und entdeckte den zitternden Schatten eines Fischerbootes, und er hörte eine Glocke ... war auch ein Feuer an Bord und sang eine Stimme in einer Sprache, die er nicht kannte? Nicht mehr als das ...
    Die Häuser von Liri schwankten wie bei einem Beben. Die kristallene Kuppel auf der Königshalle zerbrach; glitzernde Scherben regneten herab. Die Steine wackelten und rutschten auseinander. Der

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