Kindspech: Tannenbergs achter Fall
der soll in der alten Villa so schnell wie möglich eine Fangschaltung installieren.«
»Okay. Soll ich auch deine Kollegen vom K 1 verständigen?«
»Nein, lass mal. Das mach ich nachher selbst.«
»Und was ist mit deinem Hund?«
Den hatte Tannenberg ganz vergessen. Kurt hatte sich an einem schattigen Plätzchen abgelegt und sein Herrchen die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen. Gerade hatte er sich erhoben, um Tannenberg zu folgen.
»Hast du zufällig eine Leine im Auto?«, fragte er Krummenacker.
»Nein. Aber vielleicht tut’s ja auch ein Abschleppseil.«
»Klar.«
Tannenberg nahm das Drahtseil entgegen. Dann hastete er zu Kurt, befestigte es an seinem Halsband und band ihn mithilfe des Karabinerhakens an einer Parkbank fest.
»Platz!«, befahl er und wandte sich an Krummenacker. »Ruf bei mir zu Hause an und sag denen, dass einer von ihnen Kurt abholen soll. Am besten Tobi.«
9 Uhr 10
Kaum eine Minute später traf Tannenberg vor dem repräsentativen Sandsteingebäude Ecke Trippstadter- und Pirmasenserstraße ein. Die prunkvolle, denkmalgeschützte Villa am Rande des Stadtparks wurde um 1870 von dem Fabrikanten August Krehbiel erbaut und seitdem ohne zeitliche Unterbrechung von der hoch angesehenen Unternehmerfamilie bewohnt. Wie durch ein Wunder überstand das herrschaftliche Anwesen die Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs weitgehend unbeschadet. Das äußere Erscheinungsbild der historischen Villa prägten ornamentreiche Sandsteinarbeiten und eine imponierende Rundbalustrade.
Zu seiner Verwunderung wurde Tannenberg von Ann-Sophies Großmutter empfangen, die doch eigentlich seine Mutter hatte nach Hause begleiten wollen. Auf seinen fragenden Blick hin erklärte die alte Dame, dass ihre Freundin sich urplötzlich entschlossen habe, allein die schreckliche Botschaft zu überbringen.
Elfriede Krehbiel geleitete den Kriminalbeamten in einen luxuriösen Salon mit bemalten und stuckierten Wänden und Decken, einem glänzenden Parkettboden sowie einem klassizistischen Turmofen. Nachdem sie den Kriminalbeamten vorgestellt hatte, präsentierte sie ihre eigenen Familienmitglieder: »Das sind mein Mann und meine Schwiegertochter«, sagte sie und fügte hinzu: »Mein Sohn kehrt erst heute Nachmittag von einer Geschäftsreise zurück.«
Verständlicherweise herrschte im Hause Krehbiel große Aufregung angesichts dieser Kindesentführung, die sich ja quasi direkt vor der eigenen Haustür abgespielt hatte. Die Betroffenheit der Familie erschien Tannenberg zwar durchaus glaubwürdig, doch befremdete ihn ein wenig die mit Händen greifbare Erleichterung der Familie darüber, dass der Täter Ann-Sophie verschont hatte.
Die Mutter der Kleinen, eine spindeldürre, apart gekleidete, etwa vierzigjährige Frau, erweckte einen geradezu hysterischen Eindruck. Sie plapperte wirres Zeug vor sich hin und durchmaß mit hektischen Schritten den Raum. Plötzlich blieb sie stehen und begab sich zu ihrer Schwiegermutter, die inzwischen auf einem Sessel Platz genommen hatte und Ann-Sophie in ihren Armen wiegte.
»Gott sei Dank ist dir nichts passiert, mein liebes kleines Püppchen«, sagte Ann-Sophies Mutter, während sie dem immer noch stark verängstigten Kleinkind über den blonden Lockenkopf strich. Dann ging sie zu einem antiken Sideboard, wo neben einem Aschenbecher eine Zigarettenschachtel lag. Sie zog einen Glimmstängel heraus, entzündete ihn mit fahriger Hand und inhalierte tief. »Hoffentlich tut dieser Verrückte der armen Emma nichts an.«
Dieser Satz traf Tannenberg wie ein Keulenhieb. Junge, du musst unter allen Umständen cool bleiben! Nur so kannst du Emma helfen, versuchte er sich selbst zur Räson zu bringen. Tapfer schluckte er seine Beklemmung hinunter und verkündete: »Es gibt gewisse Anzeichen dafür, dass es sich bei dieser Kindesentführung um eine Verwechslung handeln könnte.«
Ein paar Sekunden hörte man nichts außer Ann-Sophies Wimmern. Elfriedes Ehemann, mit Vornamen August, war die geradezu idealtypische Verkörperung eines Seniorunternehmers, wie man sie in jedem Managermagazin finden konnte. Der elegant gekleidete Mann brach als Erster das Schweigen. »Wollen Sie damit etwa andeuten, dass eigentlich Ann-Sophie das Entführungsopfer sein sollte?«
»Ja, Herr Krehbiel, meines Erachtens besteht diese Möglichkeit. Zum einen sehen sich die beiden kleinen Mädchen ziemlich ähnlich und …«
»Das ist richtig«, warf Elfriede dazwischen.
»Und zum andern fehlt mir das
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