Der Fürst der Maler
Kapitel 1
Am Anfang war das Wort
H inter der nächsten Hügelkette musste das Tal des Arno liegen. Von dort war es nicht mehr weit bis Florenz.
Der Weg von Arezzo war mir endlos erschienen, denn obwohl ich einen feurigen Hengst aus dem Stall des Herzogs ritt, kam ich nicht schnell voran. Seit ich das Stadttor meiner Heimatstadt Urbino durchquert hatte, zerrte ich einen Esel hinter mir her. Er trug das Gepäck, das ich mitgenommen hatte. Die Jacke aus schwarzem Samt mit der Perlenstickerei am Kragen, die der Neffe des Herzogs mir zum Abschied geschenkt hatte, damit ich in Florenz nicht wie ein abgerissener Bettler herumlief – das waren wirklich Francescos Worte: als ob ich es nötig hätte, in Florenz um einen Auftrag zu betteln! –, meine selbst gemachten Pinsel, die zu feinem Pulver gemahlenen Farben, die Staffelei.
Das Empfehlungsschreiben von Elisabetta Gonzaga da Montefeltro, der Herzogin von Urbino, an Piero Soderini, den Bannerträger von Florenz, trug ich in meiner Jackentasche. Sie hatte lange gezögert, mir dieses Schreiben auszustellen. Vier Mal hatte ich sie daran erinnern müssen! Doch als ich ihr Porträt dann fertig gestellt hatte, musste sie einsehen, dass sie mich nicht in Urbino halten konnte. »Der Engel muss seine Flügel ausbreiten«, hatte sie lächelnd zum Abschied gesagt, als sie mir den Brief an Piero Soderini überreichte. Der Hengst aus dem herzoglichen Stall war die Bezahlung für das Bild gewesen. Nach der Plünderung des Palazzo Ducale durch den Papstsohn Cesare Borgia zwei Jahre zuvor, im Juni 1502, und dem Lösegeld, das die Herzogin fünf Jahre zuvor zahlen musste, um ihren Gemahl Guidobaldo da Montefeltro aus dem Kerker der Familie Orsini zu befreien, war der Herzog von Urbino arm wie eine Kirchenmaus.
Von der Hügelkuppe aus hatte ich einen herrlichen Blick über das Val d’Arno. Der Fluss schimmerte im Licht der untergehenden Septembersonne wie feingehämmertes Blattgold. Ich blieb stehen und genoss den Anblick. Ein leichter Nebel schwebte über der toskanischen Landschaft, ein Sfumato wie von Leonardo gemalt. Pinien und Zypressen säumten die Flussufer, ihre Wipfel waren von den Strahlen der Abendsonne vergoldet. Farbtupfen von Goldocker auf schattigem Malachitgrün, mit dem feinen Pinsel aufgetragen. Die Wolken am Horizont hatten Feuer gefangen und würden bald in den Schatten der Nacht versinken.
Ich sprang aus dem Sattel, zog Papier und Zeichenkohle aus den Packtaschen meines Esels, hockte mich auf einen Stein am Wegesrand und begann das Tal unter mir zu skizzieren. Der Stift flog über das Papier und holte die Idee einer Landschaft aus den Tiefen an die Oberfläche des weißen Blattes. Die weich geschwungene Linie des Horizontes wie die Silhouette einer Frau. Die toskanischen Hügel wie ihre schwellenden Brüste. Die Wolken wie ihr offenes Haar … Während ich die Olivenbäume auf einem Hügel mit schnellen Schraffuren nur andeutete und dem Steilhang über dem Arno eine felsige Oberfläche aus schattigen Konturen verlieh, drang lautes Fluchen aus dem Tal bis zu mir herauf.
Ich sah auf.
Einige hundert Schritte entfernt war ein Wagen in einem Schlagloch stecken geblieben. Die Pferde zerrten unruhig am Geschirr, und ein Pferdeknecht griff in die Zügel, um sie zu beruhigen. Einer der Männer beugte sich über das Rad: Die Achse schien gebrochen zu sein.
Eine Hand voll Bewaffneter, die den Wagen begleitet hatten, sprangen von den Pferden. Ich erkannte ihre Kleidung unter den funkelnden Brustharnischen: Sie waren Schweizer Gardisten, die Leibwächter des Papstes! Wer, fragte ich mich, saß in diesem Wagen?
Ich erhob mich, steckte den Kohlestift ein, schob die zusammengerollte Skizze in die Packtasche meines Esels und stieg wieder in den Sattel.
Noch vor Sonnenuntergang wollte ich die nächste Herberge erreichen. Es war leichtsinnig, ohne bewaffneten Begleitschutz von Urbino nach Florenz zu reiten. Beutegierige Wegelagerer überfielen nicht nur in Umbrien und den Marken, sondern auch in der Toskana reisende Kaufleute und kirchliche Würdenträger. Seit die toskanischen Republiken und Cesare Borgia deutsche Landsknechte und französische Ritter für ihre Feldzüge angeworben hatten, verkauften die Söldner ihre Dienste an den, der das meiste bot. Seit dem Tod Papst Alexanders und dem Sturz seines Sohnes Cesare als Herzog der Romagna schürten die Condottieri die Fehden zwischen den Republiken, um neue Aufträge für Kriegszüge zu erhalten, und nahmen reisende Kaufleute
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