King of the World
einer labilen Familie auf, beide wurden schon früh kriminell, lernten, daß der einzige Weg, der aus ihrem demütigenden Leben herausführte, das Boxen war. Sie waren Männer, die keinem trauten, nicht, als sie den Titel hatten, und auch nicht später.Tyson hatte wegen Vergewaltigung, Liston wegen bewaffneten Raubüberfalls gesessen. Wie Muhammad Ali hatte Tyson den Vorteil, ein gewandter Redner und reich zu sein (er verdiente zig Millionen), sonst aber war er mit Ali nicht zu vergleichen. Seine Äußerungen hatten nichts Vergnügliches, sein Witz etwas Ätzendes, Selbstverletzendes. Tyson fühlte sich allein und strebte einem bösen Ende entgegen. Er fühlte sich wie Liston.
»Ich hab keine Freunde, Mann«, sagte er. »Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, mußten sie alle weg, meine alten Freunde. Wenn du in meinem Leben keinen Zweck hast, Mann, dann mußt du weg … Wozu will man denn einen um sich haben, wenn der keinen Zweck hat. Bloß, damit man einen Kumpel oder Freund hat? Ich hab eine Frau. Meine Frau kann mein Kumpel und mein Freund sein. Ich will nicht kalt sein, ich hab das eben irgendwie mitgekriegt … Wenn ich gefickt werde, dann nicht von denen, die mich früher schon gefickt haben. Ich werde von den
neuen
Leuten gefickt …«
»Mich hat man mein ganzes Leben lang ausgenutzt«, fuhr Tyson fort. »Man hat mich benutzt, man hat mich entmenscht, man hat mich gedemütigt und mich betrogen. Das ist mehr oder weniger das Ergebnis meines Lebens, und deswegen bin ich irgendwie verbittert, irgendwie wütend auf manche Leute … Im Boxen stößt sich jeder gesund, bloß nicht der Boxer selbst. Der ist im Grunde der einzige, der leidet. Er ist der einzige, der im Keller ist. Der einzige, der den Verstand verliert. Manchmal wird er verrückt, manchmal hängt er an der Flasche, weil das ein hoch intensiver Sport ist, da ist man unter Druck, und viele verlieren dabei. Da kannst du so viel erreichen, und dann gehst du kaputt.«
Ein paar Abende später stieg Tyson in den Ring mit Holyfield, und als er merkte, daß er nicht mehr der war, der ereinmal war, daß er Holyfield nicht durch den Ring jagen konnte, biß er zu. Er biß Holyfield ein Stück Ohr ab. Und dann biß er ihn noch einmal.
»Mit meiner Karriere ist Schluß«, sagte er in der Kabine nach dem Kampf. »Schluß, aus. Ich weiß es.«
Nachdem Floyd Patterson die Boxhandschuhe an den Nagel gehängt hatte, zog er sich nach New Paltz im Staate New York zurück. Er gründete den Huguenot Boys’ Club, wo er kostenlos junge Boxer trainierte. »Das hat mich vor der Straße bewahrt, als ich klein war, deshalb wollte ich das gleiche für andere tun«, sagte er zu mir. 1995 machte der neue Gouverneur, George Pataki, Patterson zum Vorsitzenden der Sportkommission des Staates New York, der die Boxund Wrestlingveranstaltungen im Staat organisierte. Das Gehalt betrug 76421 Dollar, und der Job stellte keine höheren Anforderungen. In New York fanden kaum noch Kämpfe statt, das Geschäft war nach Las Vegas oder Atlantic City gezogen. Für Patterson gab es also wenig zu tun. Und dennoch war es offensichtlich, daß er mit seinen Aufgaben kaum fertig wurde, und auch dies weitgehend nur durch die Arbeit einiger diskreter Helfer an diversen staatlichen Stellen. Schon seit Jahren wurde gemunkelt, daß Pattersons Gedächtnis nachließ, daß er endlich die Nachwirkungen von vierundsechzig Berufskämpfen und zahllosen Niederschlägen spürte, doch niemand wollte diesen anständigen Mann gern in Verlegenheit bringen. Bei den Boxreportern war Pattersons Zustand ein offenes Geheimnis, doch lange druckte keiner etwas darüber. Was war schlimm daran, daß er diesen Posten hatte? Da wurde endlich mal einer ein bißchen gefördert, der es verdient hatte.
Als ich Patterson interviewte, sah er mit seinen dreiundsechzig Jahren fast genauso aus wie damals als Weltmeister:derselbe gepflegte, sehnige Körperbau, dieselben großen, flehenden Augen, dieselbe Chuck Berry-Frisur. Wenn man ihm gegenüberstand, fand man es unfaßbar, daß er einmal Weltmeister im Schwergewicht gewesen war oder mit Liston und Ali im Ring gestanden hatte. Er hatte die Statur eines Sterblichen. Nur seine gewaltigen Hände, die geschwollen und rauh wie Sandpapier waren, deuteten überhaupt auf Kraft hin. Bei unserem Gespräch wiederholte Patterson sich gelegentlich und vergaß auch mal Namen, Orte und Daten, doch er war weniger »abwesend« als vielmehr unsicher, ob er beim Thema bleiben und sich an
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