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Die Bienenkönigin

Titel: Die Bienenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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    |5| Wenn je zwei Menschen zu einer Einheit verschmolzen sind, kann man das von Priscilla und Talbot Bingham sagen. Wie angetan
     Priscilla wäre, würde das Paar auf diese viktorianische Weise beschrieben, die an altmodische Grußkarten zum Valentinstag
     gemahnt, mit geschnörkelten Sätzen, umrankt von Schleifen und Herzen, eingefasst von einer Papierbordüre. Denn für sie galt
     einzig das Erscheinungsbild: kinderlos in voller Absicht, stolz, ihr Leben darauf zu verwenden – »Stein auf Stein«, wie ihr
     Gatte, der Architekt, sagen dürfte –, »das Schloss zu erbauen«, auf dessen höchster Zinne das Banner weht, der Welt den Erfolg
     dieser Partnerschaft kundzutun.
    Wenn je zwei Menschen eins waren, dann die Binghams – da stimmten die Gäste zu, als sie im Country Club an der östlichen Küste
     Marylands auf das Wohl des Paares anstießen und zusehen mussten, wie Priscilla zusammenbrach, nachdem Talbot während der Feier
     zu ihrem zehnten Hochzeitstag einem Herzschlag erlegen war. Mit Schrecken sah man Priscilla – Talbots Leichnam wurde auf einer
     Tragbahre hinausgebracht – im Krankenwagen auf der Trage liegen, als sei sie ebenfalls gestorben.
    |6| Sie war es aber nicht. Sie lebte mit ihrem Kummer und stellte nach einer Weile fest, dass sie wieder ging und sprach wie ein
     ganz normaler Mensch. Niemand konnte ahnen, dass sie beim Blick in einen Spiegel in die Augen einer Toten sah. »Gone, lost
     and gone forever, dreadful sorry Clementine«, sang sie für sich, und ihre Tränen sprudelten wie aus einer Quelle hoch oben
     in den Bergen, den kalten, kalten Bergen, wo keine Pflanze wuchs und keine Kreatur mehr lebte, wo nichts war als zeitweise
     Schneefall und der Wind, der Lawinen löste, die ihr das Herz erdrückten.
    ***
    Ich hatte Talbot bei einer Tanzveranstaltung in den Weihnachtsferien kennengelernt, als ich die Abschlussklasse der Miss Porter’s
     School in Farmington, Connecticut, besuchte. Er hatte bereits sein Harvard-Studium beendet und schickte sich an, Amerikas
     umstrittenster Architekt zu werden. Wiewohl man ihn nicht als schönen Mann bezeichnen konnte, bewegte er sich doch mit der
     attraktiven Geschmeidigkeit eines Athleten. Er hatte etwas Undefinierbares, brillant und komplex, schier berstend vor Energie,
     die etwas Kindliches besaß. Aber da war auch der Widerstreit zweier verschiedener Kräfte, der unglücklicherweise so viele
     Künstler heimsucht – auf der einen Seite das drängende Bedürfnis, sich mitzuteilen, und auf der anderen |7| das noch dringlichere Bemühen, nicht gestellt zu werden. All das gehörte zum Faszinierenden und Mysteriösen an ihm. Er glich
     einem Puzzle, und Frauen bildeten sich ein, dass allein sie das letzte fehlende Teil fänden. Unmöglich. Seine Hingabe an mich
     stand außer Frage, und jene, die einen Versuch wagten, gaben schnell wieder auf und traten zurück in die Reihe derer, die
     eine einvernehmliche Freundschaft mit »den Talbots« pflegten. Ich verehrte ihn uneingeschränkt, liebte alles, von seinem schwarzen,
     leicht krausen und borstigen Haar angefangen, über seine olivschwarzen Augen mit dem eindringlichen Blick, die – Erbe seiner
     rumänischen Mutter – jegliche Regung seines lebhaften Geistes auszudrücken vermochten, bis zu den Momenten in sich gekehrten
     Schweigens und den vielen labyrinthischen Marotten, die unaufgeklärt zu lassen ich mich früh entschlossen hatte. Zwanghaft
     verschlossen, was zwischenmenschliche Beziehungen betraf – und das galt auch für unser Verhältnis –, blieb er der Welt und
     sogar seinen engsten Freunden stets ein Rätsel. Er war ein Genie, ohne Frage. Die magische Kraft, der ich erlag und die ich
     am meisten liebte, wohnte in der Leidenschaft, mit der er von unserer ersten Begegnung an von meinem ranken Körper Besitz
     ergriffen hatte, dem doch nach meinem Empfinden jene Fraulichkeit fehlte, die ich für unabdingbar hielt und bei anderen Frauen
     bewunderte. Wenn er jetzt, nach zehn gemeinsamen Jahren, von einer Reise nach Hause zurückkehrte, verlangte er nach den ersten
     Begrüßungsworten an der Tür, |8| bevor er noch seinen Mantel abgelegt hatte, wie eh und je, augenblicklich Liebe zu machen. Diese Vehemenz traf mich stets
     wie ein Blitz, der meine Unsicherheiten schlagartig verwandelte, so dass ich mit Stolz erfüllt war und die Gewissheit verdrängte,
     eine Schwindlerin zu sein, die in Wahrheit an Sex nur geringes Interesse fand. Wie dem auch sei – jedenfalls

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