Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
den anderen, für immer. Schluss. Feierabend. Sein Job war beendet. Und wir Zurückgebliebenen hatten jetzt den ganzen Bürokratiekram am Hals, den jeder Tod mit sich bringt, das ganze unpersönliche Getue, das unser Transfer von den Gefilden auf der Erde unter dieselbe mit sich bringt.
Ich sah zu dem Stellplatz, wo Parnell gewöhnlich seinen Wagen geparkt hatte. »Ich frage mich, wo sein Auto geblieben ist. Er ist immer von Colgate hereingefahren. Also müsste es eigentlich irgendwo hier stehen. Ein amerikanischer Wagen, ein Chevrolet, glaube ich, so etwa Baujahr achtzig oder einundachtzig, dunkelblau.«
»Vielleicht gestohlen. Wir werden dem nachgehen. Das Kennzeichen haben Sie nicht zufällig im Kopf?«
»Doch, ich weiß es. Es ist eins von diesen Namens-Nummernschildern — Parnell. Er hat es sich selbst zum Geburtstag geschenkt, vor einem Monat. Sein Dreißigster.«
»Wissen Sie seine Privatadresse?«
Ich beschrieb Dolan, wo er wohnte. Ich wusste die Hausnummer nicht, aber ich hatte ihn ein paar Mal heimgefahren, weil sein Auto beim Kundendienst gewesen war oder er zu viel getrunken hatte, um sich noch ans Steuer zu setzen. Außerdem gab ich Dolan auch noch Veras Privatnummer, die er sich neben ihrem Namen notierte. »Ich habe einen Schlüssel zu den Büroräumen, falls Sie seinen Schreibtisch sehen wollen.«
»Gut. Gehen wir.«
Die ganze folgende Woche war der Mord bei uns Thema Nummer eins. Es hat etwas zutiefst Beunruhigendes, wenn einem das Verbrechen so dicht auf den Leib rückt. Das Schauerlichste an Parnells Tod war, dass niemand eine Erklärung dafür hatte. An ihm war nichts gewesen, was ihn zum Mordopfer prädestiniert hätte. Er war uns immer als ein ganz normaler Mensch erschienen, so wie wir alle. Unseres Wissens war da nichts in seiner aktuellen Lebenssituation, nichts in seiner Geschichte, nichts in seinem Wesen, was eine Gewalttat hätte provozieren können. Da es keine Verdächtigen gab, wurden wir in unangenehmster Weise auf unsere eigene Verletzlichkeit gestoßen. Uns verfolgte der Gedanke, dass wir womöglich mehr wissen könnten, als uns klar war. Wir diskutierten endlos darüber, in der Hoffnung, so die dunkle Wolke der Angst verscheuchen zu können, die sich im Gefolge dieses Mords über uns gesenkt hatte.
Ich war dagegen auch nicht besser gefeit als die anderen Kollegen. Zwar sind mir von meiner Arbeit her Tötungsverbrechen nichts Fremdes, und meistens lösen sie bei mir keine intensiveren Reaktionen aus, aber mit Parnell war ich befreundet gewesen, und deshalb vermochten mich meine üblichen Abwehrmechanismen — Aktionismus, Wut und ein Hang zum Galgenhumor — nicht vor der Beklemmung zu schützen, die uns alle erfasste. Ich finde mich zwar manchmal ohne mein Zutun in die Aufklärung von Mordfällen verwickelt, aber es ist nichts, worum ich mich reiße, und ich würde mich normalerweise nie darauf einlassen, ohne dass man mich dafür bezahlt. Da mich niemand auf diesen Fall angesetzt hatte, gedachte ich, mich da herauszuhalten und um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Es war ganz klar Sache der Polizei, und ich sagte mir, dass die so schon genug am Hals hatte, auch ohne irgendwelche »Hilfe« meinerseits. Die Tatsache, dass ich eine Privatdetektiv-Lizenz besitze, gibt mir keinerlei Sonderrechte gegenüber dem Normalbürger und ermächtigt mich nicht, mich in Dinge einzumischen, die mich nichts angehen.
Was mich irritierte, war das Schweigen in den Medien. Nach dem ersten Wirbel in der Tagespresse schien das Verbrechen völlig in Vergessenheit zu geraten. In keinem der Lokalmagazine im Fernsehen kam je wieder etwas über den Fortgang der Ermittlungen. Das hieß wohl, dass es weder irgendwelche Spuren noch neue Erkenntnisse gab, aber es war doch seltsam. Und deprimierend, um es milde auszudrücken. Wenn ein Mensch, den man mag, einfach so ermordet wird, dann will man, dass andere betroffen reagieren. Man will sehen, wie den zuständigen Leuten eingeheizt wird und wie etwas passiert. Ohne neue Nahrung erstarben schließlich sogar die Gespräche unter den CF-Kollegen. Die wildlodernden Spekulationen verglommen und wichen dumpfer Bedrücktheit. Eine Invasion von Polizisten ergoss sich in Parnells Büro und packte alles ein, was sich in seinem Schreibtisch fand. Die Fälle, die er zuletzt bearbeitet hatte, wurden auf die Kollegen verteilt. Ein paar Verwandte von ihm kamen von der Ostküste angeflogen, lösten seine Wohnung auf und verfügten über seine persönliche Habe.
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