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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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    Juristisch wird Mord definiert als die »vorsätzliche Tötung eines Menschen durch einen anderen«. Manchmal wird die Formulierung »aus niedrigen Beweggründen« hinzugefügt, um dadurch Mord von den zahlreichen anderen Gelegenheiten zu unterscheiden, bei denen Menschen sich gegenseitig umbringen — wobei einem als erstes Kriege und Hinrichtungen einfallen. Die »niedrigen Beweggründe« aus dem Gesetzbuch meinen nicht unbedingt Haß oder auch nur Böswilligkeit, sondern beziehen sich auf den bewußten Wunsch, einem anderen gravierende Verletzungen zuzufügen oder seinen Tod zu verursachen. Meist ist Mord eine intime, private Angelegenheit, da die meisten Mordopfer von nahen Verwandten, Freunden oder Bekannten umgebracht werden. Grund genug, Distanz zu wahren, wenn Sie mich fragen.
    In Santa Teresa, Kalifornien, werden ungefähr fünfundachtzig Prozent aller Mordfälle aufgeklärt, was bedeutet, daß der Täter identifiziert und verhaftet wird und ein Gericht über seine Schuld oder Unschuld entscheidet. Die Opfer ungelöster Mordfälle stelle ich mir als widerspenstige Tote vor: Menschen, die sich in einem eigentümlichen Schwebezustand befinden, irgendwo zwischen Leben und Tod, ruhelos, unzufrieden und voller Sehnsucht nach Erlösung. Es ist eine wunderliche Vorstellung für jemanden, der im allgemeinen nicht zu Hirngespinsten neigt, aber ich denke mir, daß diese Seelen in einer beklemmenden Beziehung zu jenen stehen, die sie umgebracht haben. Ich habe mit Beamten vom Morddezernat gesprochen, die von ähnlichen Phantasien heimgesucht wurden, gehetzt von bestimmten Opfern, die noch unter uns zu weilen scheinen und hartnäckig an ihrem Wunsch nach Vergeltung festhalten. In dem Dämmerbereich, wo Wachen in Schlafen übergeht, in diesem bleiernen Moment, kurz bevor der Geist aus seinem bewußten Zustand sinkt, kann ich sie manchmal murmeln hören. Sie betrauern sich selbst. Sie singen das Wiegenlied der Ermordeten. Sie flüstern die Namen ihrer Angreifer, dieser Männer und Frauen, die nach wie vor frei herumlaufen, unerkannt, unbehelligt, ungestraft, reuelos. ln solchen Nächten schlafe ich nicht gut. Ich liege wach, lausche, in der Hoffnung, eine Silbe, einen Satz aufzuschnappen, und strenge mich an, in dieser Liste von Verschwörern den Namen eines Mörders herauszuhören. Der Mord an Lorna Kepler hat mich jedenfalls in dieser Form bedrängt, obwohl ich die wahren Umstände ihres Todes erst Monate später herausfand.
    Es war Mitte Februar an einem Sonntag, und ich arbeitete noch spät und ordnete tugendhaft die Belege meiner Ausgaben und Einnahmen für die Steuererklärung. Ich fand, daß es an der Zeit war, meine Angelegenheiten wie eine Erwachsene zu regeln, anstatt alles in eine Schuhschachtel zu stopfen und sie im letzten Moment meinem Steuerberater vorbeizubringen. Dieser Griesgram! Jedes Jahr bellt der Mann mich an, und dann muß ich schwören, mich zu bessern, ein Versprechen, das ich ernst nehme, bis es wieder Zeit für die Steuer ist und ich feststelle, daß meine Finanzen ein komplettes Chaos sind.
    Ich saß an meinem Schreibtisch in der Anwaltskanzlei, wo ich ein Büro gemietet habe. Nach kalifornischen Maßstäben war es eine kalte Nacht; die Außentemperatur lag nämlich bei zehn Grad. Ich war allein in den Räumen, umfangen von einem warmen, schläfrig machenden Lichtschein, während die anderen Büros dunkel und still dalagen. Ich hatte gerade Kaffee aufgesetzt, um der Schlafsucht entgegenzuwirken, die mich bei Geldangelegenheiten befällt. Ich legte den Kopf auf die Schreibtischplatte und lauschte dem beruhigenden Gurgeln des Wassers, das durch die Kaffeemaschine lief. Nicht einmal der Duft des Mokkas reichte aus, um meine müden Geister in Schwung zu bringen. Noch fünf Minuten, und ich wäre weggedämmert, hätte sabbernd auf meinem Ordner gelegen und auf meiner rechten Wange hätten sich tintige Wortfetzen in Spiegelschrift abgebildet.
    Ich hörte ein Klopfen am Seiteneingang, hob den Kopf und spitzte wie ein Wachhund ein Ohr in die entsprechende Richtung. Es war schon fast zehn Uhr, und ich erwartete keine Besucher. Trotzdem erhob ich mich, verließ den Schreibtisch und ging auf den Flur hinaus. Ich legte den Kopf an die Seitentür, die in die Vorhalle führte. Das Klopfen wiederholte sich, diesmal wesentlich lauter. »Ja?« sagte ich.
    Eine erstickte, weibliche Stimme antwortete. »Ist da Millhone Investigations?«
    »Wir haben geschlossen.«
    »Was?«
    »Moment, bitte.« Ich legte die

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