Kissing a Fool
fragt meine Mutter besorgt.
»Wie geht es dir? Ich meine, man erfährt ja nicht jeden Tag, wer einen fast ins Grab gebracht hat.«
»Ava!« Die Stimme meiner Mutter nimmt eine ungeahnte Höhe an.
»Was?«, frage ich spitz.
»Ava , ich möchte, dass du die Situation einmal objektiv betrachtest.«
Mom klopft auf den Stuhl, der neben ihr am Esstisch steht. Ich gebe nach, als ich ihren flehenden Blick sehe, ziehe meine Jacke aus und lass mich auf dem Stuhl nieder.
»Ava, das Leben geht gelegentlich seltsame Wege, das habe ich schon oft erleben müssen. Manchmal türmen sich Berge vor uns auf, von denen man denkt, dass man sie niemals bezwingen kann. Als ich aus dem Krankenhaus kam, stand ich vor so einem Berg. Mir war klar, dass ich nie wieder richtig laufen würde, dass ich nie wieder arbeiten könnte. Aber was mich wirklich denken ließ, dass ich diesen Berg nie überwinden würde, war der Gedanke daran, dass ich dir nicht mehr die Mutter sein konnte, die ich gerne gewesen wäre. Dass ich dir ein schweres Leben aufbürden musste, viel zu früh. Ich war wütend darüber. Dann habe ich resigniert, mein Leben so hingenommen, wie es nun mal ist. Irgendwann habe ich erkannt, dass auch du vor einem Berg standst und ihn gemeistert hast. Mich da über mein Schicksal zu beklagen, kam mir unangemessen vor. Nun stehen wir wieder vor so einem Berg, doch diesen können wir endlich gemeinsam bezwingen. Das Schicksal hat eine neue Tür geöffnet und es liegt an uns, ob wir der Einladung folgen und hindurchgehen. Henry hat eine Menge Fehler in seinem Leben gemacht, das will ich gar nicht schönreden, doch hat er nicht eine Chance verdient, seine Tat wieder gutzumachen? Die Frage ist außerdem, was würde eine Bestrafung bringen? Sie würde mich nicht wieder aus diesem verdammten Stuhl holen. Außerdem hat Harry die finanziellen Mittel, mir zu helfen, wieder ein normales Leben zu führen.«
Ich schaue sie verwundert an. Ich glaube, das war der längste Monolog, den meine Mutter je gehalten hat.
»Wie will Harry das hinbekommen? Indem er sich in dich verliebt?«, frage ich skeptisch und stütze das Kinn auf meine Faust.
»Er hat mir angeboten, dass er die Kosten der Operation übernehmen will, damit ich wieder laufen kann. Und zwar ohne irgendeine Forderung daran zu knüpfen. Er hat vorgeschlagen, dass wir so lange, bis es mir wieder besser geht, in seine Villa ziehen können. Dort hätten wir mehr Platz.«
Oh Gott, nicht auch das noch. Ich schüttele sofort den Kopf. Nein, mit Jaden unter einem Dach zu wohnen, ist für mich ein absolutes No Go, das kommt gar nicht infrage. Klar würde es Mom dort besser gehen, schließlich gibt es dort eine Haushälterin..
»Ich würde ein Zimmer im Erdgeschoss bekommen, mit eigenem Bad«, murmelt sie, als würde sie noch über Harrys Vorschlag nachdenken, dabei sehe ich ihr an, dass ihre Entscheidung längst gefallen ist.
»Du willst es auf jeden Fall, oder?«
Unsicher blickt Mom mir in die Augen. »Was möchtest du, Ava?«
»Ach, Mom«, ich stehe auf und umarme sie, »es ist nicht wichtig, was ich möchte. Es geht hier um dich. Wie stehst du zu Harry, wie stehst du zu seinem Geständnis, dass er sich in dich verliebt hat? Ich finde, so etwas sagt man nicht einfach so.«
»Er hat es nicht einfach so gesagt. Ich spüre, dass er die Wahrheit sagt.« Ihr Blick hat etwas Kämpferisches an sich.
»Und was fühlst du für ihn?« Die Frage fällt mir schwer, obwohl ich mit Mom immer reden konnte, wie mit einer Freundin, aber hey, wer will schon wirklich über das Liebesleben seiner Eltern Bescheid wissen? Doch mir ist auch klar, dass sie niemand anderen zum Reden hat. All ihre Freunde haben sich nach dem Unfall zurückgezogen.
» Was ich für ihn fühle? Nun, lass mal sehen, Ava.« Sie tut so, als müsse sie wirklich überlegen. »Er ist immerhin Harry Styles, der Traum aller Mädchen, als ich in deinem Alter war. Er ist zwar heute ein Alkoholiker, aber wer von uns hat denn keine Probleme? Sind sie nicht dazu da, gelöst zu werden? Was fühle ich bloß für ihn?« Wieder spielt sie die Grübelnde, dann schaut sie mich plötzlich mit einem sehr klaren und offenen Blick an. »Ich habe mich in ihn verliebt, Ava.«
Ich nicke. Etwas anderes habe ich nicht erwartet. Auch wenn ich ganz anderer Meinung bin, das Leuchten in Moms Augen ist nicht zu übersehen.
»Mein Schatz, ich will trotzdem, dass du mitkommst. Ich werde nicht ohne dich gehen, das weißt du. Wir werden das zusammen
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