Klang des Verbotenen
stimmt, abwärts statt aufwärts, in die Tiefe, in die Schatten, in ein geheimnisvolles Reich; musikalisch sicherlich genauso interessant wie meins, wenn nicht sogar interessanter, zugegeben, vielleicht nicht so großartig wie eine Trompetenfanfare mit Pauken und Trommeln, aber diese ist auch mir letztendlich, wie du weißt, egal. Doch die Klage, dein Gesang, ganz wie die Arbeit dieses verfluchten Griechen, hat, wie du selbst zugibst, ebenfalls kein Ende, nicht wahr?«
»Im Vergessen«, sagte Curro, »dort schon. Wenn man uns alle vergessen hat; wenn wir nicht mehr sind. Wenn die Türme verwittern und umstürzen. Vorher nicht.«
Nach einer Pause fügte er hinzu: »Und ich stehe dann mit leeren Händen da, doch du mit einem dicken Buch voller Noten, die ich nicht einmal lesen kann.«
»Haha«, sagte Japón, kritisch wie immer. »Wo denn dann? Im Jenseits?«
»Vielleicht gehen wir nicht gänzlich verschiedene Wege«, sagte Escarlati. »Zumindest ist das Ziel dasselbe, nicht wahr?«
»O ja«, sagte Japón. »Denn ihr seid beide Künstler. Und ich habe euch beide gern.«
»Wir uns auch«, seufzte Montoya, gerührt von Wein und Gedanken und umarmte Escarlati innig, dann auch Japón.
»Kunst ist Kunst«, sagte Escarlati. »Und Schönheit Schönheit. Das ist, wenn wir ehrlich sind, ganz und gar klar. Man weiß es einfach. Und erkennt ganz leicht, ob ja oder ob nein.«
Montoya nickte.
»Es ist so oder es ist nicht so«, fuhr Domingo fort. »Ein Drittes gibt es nicht. Wohl gibt es dorthin viele Wege, so wie viele Aussichtspunkte denkbar sind, um einen alten Tempel zu bewundern, einer vielleicht auf einem Felsen, der andere am Ende eines Pfades durch Dornenhecken, ein dritter am Fuße der Stufen, die schon immer zu besagtem Heiligtum geführt haben, und so weiter …«
»Ein Mensch ist es, der diesen Weg gehen muss. Seinen eigenen.«
»Du kannst nur deinen eigenen Weg gehen, dich selbst dabei vielleicht ändern oder entwickeln, doch nicht die Gesetze des Schöpferischen, sie nicht – dies ist dem Menschen nicht gegeben, denn hierbei ist alles schon angelegt; und Vollkommenheit schon gar nicht, denn das ergäbe eine ganz und gar göttliche Musik. Die vielleicht langweilig wäre.«
»Für uns Menschen. Doch für Ihn?«, sagte Japón, der ein neues philosophisches Problem witterte.
»Euer Gott«, flüsterte Curro und blickte über die Schulter hinter sich, bevor er weitersprach, ohne jeglichen Zusammenhang mit dem Vorherigen und dabei kicherte, »der soll ja sogar seinen eigenen Sohn geliebt haben …«
Da war sie plötzlich wieder, diese Geste kollektiver Angst, eine Reflexbewegung, die Domingo mittlerweile so gut kannte – und die in diesem heiß-finsteren Spanien offensichtlich allgegenwärtig war: ein kurzer, einerseits unauffälliger, andererseits längst unbewusster und deswegen keineswegs unauffälliger Schwenk des Kopfes nach rechts oder nach links bei gleichzeitigem Absenken der Stimme bis an die Grenze zum Flüstern, verbunden mit einer plötzlichen Steife der Gliedmaßen. Die Schritte werden eckig, der Körper zu einem Stock, die Handbewegungen sind auf einmal starr und verkrampft wie die einer Puppe. Wie bei einer Jungfrau, die allein über den Markt gehen muss … für das Cembalospiel eine Katastrophe, dachte Escarlati – alle unsere Übungen zu Lockerheit und Unmittelbarkeit wären zunichte.
Selbst Curro.
Selbst Curro ist kein freier Mann.
»Der Prediger ist schon lange nicht mehr aufgetaucht«, sagte Montoya unvermittelt und sah sich um. »Das ist kein gutes Zeichen. Ob er doch noch in Gewahrsam ist?«
»Er fehlt mir«, sagte Japón, »O ja. Der Mann ist lustig. Und intelligent.«
»Wann lassen sie ihn endlich frei?«
»Ach was! Ihm wird nichts geschehen. Sie haben es uns versprochen.« Japón wischte vor seiner Stirn umher, als reinige er eine unsichtbare Glasplatte. »Und er ist doch nur ein armer Irrer.«
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht.«
»Sie haben ihn hingerichtet«, sagte Escarlati. »Der Monseñor hat es mir mitgeteilt. Ich konnte euch das nicht erzählen.«
Darauf gab es nichts zu sagen. Die Wut fuhr in Curros Fäuste, die Trauer in die Augen der drei. Sie blickten auf den Platz hinaus, auf dem der Seher gepredigt hatte, und schwiegen lange.
»Ja«, sagte Escarlati dann, »weit weg von Napoli bin ich nun endlich frei, muss keine Opern mehr schreiben und schon gar keine Kirchenmusik, kann komponieren, was ich will, werde fürstlich bezahlt. Und arbeite doch für …
Weitere Kostenlose Bücher