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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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Das Ourikatal
     
    Der Taxifahrer hieß Mohamed. Er besaß einen alten Mercedes und stellte sich als der »König der Taxis« vor. Er trug eine weiße Djellaba. Sein kurz geschnittenes Haar war auch weiß, seine Haut dunkelbraun und mit Falten übersät. Als wir an einer Tankstelle hielten, nannten ihn alle »El Hadj Mohamed«.
    Wir fuhren die Avenue Mohamed VI entlang. Auf den Straßen trugen alle Winterkleidung, außer ein paar Touristen, die in T-Shirts und kurzen Hosen herumwanderten. Für die Marrakchis war es draußen nicht heiß; es war immerhin Winter.
    Eine Frau hinter uns winkte und hupte die ganze Zeit. Schließlich blieb Mohamed einfach mitten auf der Straße stehen. Er stieg aus. Kümmerte sich überhaupt nicht um die anderen Autofahrer, die ihn anbrüllten. Sah sich sein Auto von allen Seiten an. Bemerkte endlich, dass er den Zündschlüssel im Kofferraumschloss hatte stecken lassen. Wie war es ihm gelungen, den Motor ohne Zündschlüssel anzuwerfen, als wir die Tankstelle verließen? Ein Geheimnis. Er gab keine Erklärung dafür ab, lachte bloß und zuckte mit den Achseln und hob seine Hände zum Himmel, als wollte er sagen: »Gott hat mir ein besonderes Talent geschenkt – wer sind wir, dass wir Seine Wege verstehen wollen?«
    Wir fuhren an der Menara vorbei und auf die Berge zu. Die rote Erde funkelte in der Dezembersonne. Zwei Stunden rollten wir so dahin. Auf beiden Seiten der Straße standen Berberdörfer aus rotem Stein. Die Straße wand sich den Oued Ourika, das Ourikatal, hinauf, bis wir endlich unser Ziel erreichten. Das Dorf, in dem wir stehen blieben, hieß Setti-Fatma. Ein junger Bursche bot sich uns als Führer an. Wir wanderten hinter ihm her, durch das Dorf, über einen Fluss. Schwarzhaarige, lächelnde Mädchen in dicken, farbigen Pullovern und langen Röcken wuschen ihre Wäsche im eisigen Wasser. Sie sahen uns scheu unter ihren Kopftüchern an und kicherten.
    Es roch nach Kefta und Huhn mit Oliven und Zitrone. In handgemachten Steinöfen brutzelten die typischen Tajines vor sich hin, diese zugedeckten Tongefäße, in denen schmackhafte Eintöpfe zubereitet werden.
    Wir kletterten das Tal mit den sieben Wasserfällen hinauf. Manchmal mussten wir durchs Wasser waten und schlitterten über glitschige Felsen. Wir machten an einem künstlichen See Halt.
    Unser Führer setzte sich nieder und rollte einen Joint. Wir reichten ihn reihum und waren nach wenigen Minuten einigermaßen high.
    Die magische Atlaskette ragte rot und baumlos um uns herum auf. Schnee bedeckte die Gipfel. Der Himmel war klar und blau; die Luft, frisch und neu und exotisch, roch nach Gewürzen. Die Freiheit schaute uns aus halb verschlafenen Augen an.

Ich kannte Herrn Niavarani
     
    Ich lernte ihn als junger Student in Wien kennen. Das war in den 90ern und ich war gerade mal zwanzig. Sorglos. Kokett und allwissend, charmant, arrogant und neugierig, wie nur Zwanzigjährige es sein können.
    Ich hatte damals einen Freund. Er studierte vage Deutsch an der Uni, wurde aber von seinen Professoren nur selten erblickt. Solange wir zusammen waren, fand man ihn meistens vor einem Lehrsaal, wo er auf mich wartete. Um ein wenig Geld zu verdienen, arbeitete er als Teilzeitkellner im Café »Graumann«. Das lag in der Wipplingerstraße in der Innenstadt. Im Café gab es die Treppe hinunter einen Theatersaal, das »Graumanntheater«. Man konnte sich dort ein Stück ansehen und brauchte nachher nur die Treppe hinaufsteigen, um sich noch ein letztes Glas zu genehmigen. An den Wochenenden wurden auf der kleinen, oberen Bühne des Cafés gratis humoristische Improvisationen aufgeführt. Einer der Schauspieler war Michael Niavarani, ein Österreicher persischer Abstammung. Damals war er ein junges Genie. Heute ist er schon ein wenig graumeliert, aber noch immer einer der ganz Großen; ich vergönne es ihm, dass er’s geschafft hat. Wenn er sich auch kaum an mich erinnern dürfte. Erinnerungen verschwimmen leichter, wenn man die Ruhmesleiter nach oben geklettert ist.
    Wenn die letzten Gäste endlich gegangen waren, sperrten wir das Café zu. Meistens waren wir eine ganze Bande junger Burschen, mindestens fünf oder sechs. Wir tranken, rauchten, lachten, fummelten herum wie scharfe Welpen. Wir zahlten nie etwas. Wenn mal eine Flasche leer war, gingen wir einfach am nächsten Tag in den Supermarkt und kauften eine neue.
    An den Wochenenden blieben wir oft bis zwei, drei in der Früh. Das Café »Graumann« war unser Hauptquartier. Wir

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