Kleine Portionen
drehten die Musik ganz laut, das »Love DeLuxe«-Album von Sade, Lennie Kravitz, Omar, Miles Davis. Waren wir dann einigermaßen betrunken, machten wir das Café dicht und stolperten die Stiege hinunter in den Tiefen Graben. Rechts von der Stiege war der Eingang zum »Why Not?«, einer Schwulendisko, wo wir die restliche Nacht verbrachten. Wir tranken noch mehr, tanzten, flirteten, verliebten uns. Mit zwanzig verliebt man sich ja andauernd.
Unsere Songs hießen »Connected« von den Stereo MCs. »A Deeper Love«. »Show Me Love«.
Ja, wir waren die ganze Zeit auf der Suche nach Liebe.
Spaziergang mit Hund
Beton, Asphalt, Steine. Neonreklamen. Der Hund muss Gassi geführt werden. Wir treten vors Haustor. Paris, 18. Arrondissement, Rue de la Chapelle. Es ist Samstagabend. Die Sonne ist untergegangen. Trotzdem sieht man noch flauschige Wolken am Himmel. Die Straßenlampen sind bereits eingeschaltet. Es nieselt.
Das Licht in Nicoles Frisörsalon ist noch an. Der Hund bellt, Nicole winkt uns zu. Ich überlege, was ich kochen soll.
Das pakistanische Hemdengeschäft, eine kleine Version von Ali Babas Schatzkammer gleich neben Nicoles Salon, ist auch noch offen. Sie sperren nie vor acht zu. Einer der Angestellten raucht eine Zigarette und beäugt den Hund misstrauisch. Sein Kollege beobachtet die Autos, die vorbeirauschen. Er nickt uns zu und sagt: »Guten Abend.«
Wir kommen an einer Gruppe afrikanischer Einwanderer vorbei, die an der Ecke zur Rue Marc Séguin stehen und plaudern. Die älteste Frau trägt einen Turban aus einem glitzernden, pinken Stoff sowie ein farblich abgestimmtes, weites Kleid. Die anderen Frauen sind in ähnliche, bunte Kittel gehüllt. Das Outfit des Jungen schaut genau so aus, wie es sich gehört: eine Baseballkappe, labbrige Hosen, ein T-Shirt, das für seinen mageren Körper viel zu groß ist. Er lächelt, und seine Zähne leuchten weiß.
Der Hund beschnuppert alle Straßenlampen, Autos und Mauern. So viele Dogmails, die er lesen muss. Er bellt zwei kichernde Kinder an, die an uns vorbeikommen. Überrascht zucken sie zusammen.
Wir machen die Runde um den Square de la Madone. Eine indische Familie läuft an uns vorüber, die Frauen stecken in grellen Saris, die Männer schauen aus wie Prinzen aus einem Morgenlandmärchen. Ihr kleiner Junge in seinem Sonntagsanzug zeigt auf den Hund, offensichtlich würde er gerne über dessen beige-weißes Fell streichen. Seine Mutter zieht ihn am Arm weiter, er stolpert vorwärts, dreht sich ein letztes Mal um und schaut dem Hund mit traurigen Augen nach.
Ich lese das Hundstrümmerl mit einem Plastiksack auf und werfe diesen in den nächsten Mülleimer.
Zuhause fange ich dann an zu kochen.
Weg von zu Hause
Meine Schwester und ich zogen im selben Jahr von zu Hause aus. Wir hatten beide unsere Abschlussprüfung bestanden. In Österreich heißt diese Prüfung »Matura«. Das Wort kommt vom lateinischen »maturus«, was soviel wie »reif« bedeutet. In Österreich haben wir schon immer einen gesunden Sinn für Humor gehabt.
Meine Schwester: war 19. Hatte die Handelsakademie abgeschlossen und einen Job als Sekretärin in einer Baufirma in Wien gefunden. Mietete eine kleine Wohnung und war außerordentlich angespannt.
Ich: hatte gerade das mythische Alter der 18 Jahre erreicht. Hatte das Gymnasium abgeschlossen und ging als Universitätsstudent nach Wien. War aufgeregt wie ein junger Hund. Ich zog mit meinem besten Freund in eine riesige Wohnung ein.
Als meine Schwester und ich noch Kinder waren, hielt man uns oft für Zwillinge. Es gibt da ein Foto, das auf der Fähre von Rijeka zur Insel Vrsar hinüber gemacht wurde, in Kroatien. Jugoslawien hieß das damals noch. Auf dem Photo stehen meine Schwester und ich nebeneinander. Sie, das lächelnde, schwarzhaarige Mädel, versucht mich zu umarmen. Ich habe hellbraunes Haar und wage auch ein Lächeln, das aber gezwungen aussieht. Wir sind beide gleich groß. Damals müssen wir zehn, elf gewesen sein. Man sieht uns an, dass wir die besten Freunde, die besten Spielkameraden sind.
Als es soweit war, zog meine Schwester als erste um. Das war im August. Meine Eltern brachten sie nach Wien, halfen ihr beim Einrichten und blieben noch ein paar Tage. Dann kamen sie widerwillig nach Hause zurück. Das Leben meiner Schwester als erwachsene Frau begann genau so: ohne Vorwarnung, mit einem brutalen Einschnitt. Sie blieb ein, zwei Wochen ganz allein.
Dann kam ich. Aber ich war von meinem neuen Studentendasein
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