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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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tot.«

Ein Gespräch mit meinem Vater
     
    Mao behauptet, dass man in den Apfel beißen muss, wenn man dessen wahre Natur kennen will. Wenn man das Wesen von etwas verstehen will, muss man es verändern.
    Während einer der letzten Vater-und-Sohn-Nachmittagsspaziergänge fragte ich meinen Vater: »Was war eigentlich dein Jugendtraum? Du weißt schon, was hast du dir für dein Leben so erträumt?«
    Mein Vater lachte sein vertrautes Lachen, blickte mich an und sagte: »In meiner Jugend? Ich wollte nach Afrika gehen und den Armen helfen.« Er lachte wieder. »Weißt du, wie die Missionare.«
    »Warum hast du’s nicht getan?«, wollte ich wissen.
    »Na, das war doch nur ein Traum«, antwortete er. »Ich hätte es wirklich gern gemacht. Aber ich musste arbeiten, als ich sechzehn war. Ich musste Geld verdienen. Ich bin immer ein bisschen neidisch auf dich gewesen, Sohnemann. Du bist auf die Uni gegangen. Ich hätte gern mehr gelernt, so wie du …«
    »Also, im Grunde hast du mit sechzehn angefangen, in der Zeche zu arbeiten, wie dein Vater?«
    »Oh nein, ich bin zuerst bei einem Maler in die Lehre gegangen.« Er grinste, mit diesen tiefen Grübchen in den Mundwinkeln. »Aber wie du weißt, bin ich farbenblind. Den Kunden hat das nicht so wahnsinnig gefallen, wenn sie ihre Küche statt in grün in rosa entdeckt haben. Ich hab also etwas anderes finden müssen. Deshalb bin ich in die Fußstapfen meines Vaters getreten und hab im Bergbau angefangen.«
    Wir gingen für einen Moment weiter, ohne etwas zu sagen. Wir hörten den Wind durch die Bäume fahren, die Vögel zwitscherten, die Natur funkelte. Unser Schweigen fühlte sich angenehm an. Wir gingen in Frieden miteinander um. Jeder genoss die Gesellschaft des anderen. Der hohe Mais wellte sich, verbreitete einen trockenen Spätsommerduft, raschelte leicht im warmen Wind. »Erinnerst du dich noch, dass du immer gesagt hast, du würdest uns eine Schwarze mit nach Hause bringen?«, fragte er nach einer Weile und lachte wieder.
    »Na klar erinnere ich mich daran«, kicherte ich. »Ich glaube, ich wollte dich bloß vorbereiten. Ich wollte dich an die Idee gewöhnen, dass ich vielleicht nicht unbedingt mit der Person zusammenlebe, die du für mich ausgesucht hättest …«
    »Du hättest dir wirklich eine Schwarze aussuchen sollen«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Ich meine, dein Freund ist schon in Ordnung. Du magst Männer lieber, das ist auch okay. Aber eine Schwarze … sie wäre perfekt gewesen, meinst du nicht? Ein Spaziergang durchs Dorf mit ihrem Schwiegervater …« Er grinste und lachte dann schelmisch.
    »Das hätte dir so gefallen«, meinte ich. »Du hättest sie herumgezeigt wie eine Trophäe, du Perversling!«
    »Klar«, antwortete er und legte einen Arm um meine Schulter. »Aber ich denke, deine Mutter wäre eifersüchtig gewesen.«
    Wir kicherten gemeinsam.
    »Du hast sie schon sehr gern, was?«, bemerkte ich dann.
    »Sicher«, seufzte er. »Sie ist genau richtig für mich. Weißt du, ich hätte mit niemand anderem zusammenleben wollen. So viele Freunde haben ihre Frauen wegen eines jungen Mädels verlassen, wegen irgendeinem zarten, kleinen Ding. Das hab ich nie verstanden. Okay, wer bin ich, jemanden abzuurteilen? Es ist ihr Leben, nicht meins. Es ist ihre Entscheidung. Aber was würd ich mit so einem dürren jungen Mädchen tun? Ich mag runde Frauen lieber.«
    »Und Mama, die immer glaubt, sie ist zu dick …«
    »Aber nein, sie ist genau richtig. Ich mag magere Frauen weniger. Ich hab gern was in meinen Händen«, sagte er und zwinkerte wieder.
    Ich war froh, und es beschwichtigte mich, dass er sie so lieb hatte. Und er hat es nie gesagt. Aber er brauchte es auch nicht – ich wusste einfach, dass er mich lieb hatte, dass er meine Schwester lieb hatte. Es zeigte sich in allem, was er tat und sagte.
    Man musst etwas verändern, um dessen Wesen zu verstehen, wie Mao behauptet hat. Man muss jemanden für immer verlieren, um festzustellen, wie sehr man ihn vermisst. Wie lieb man ihn hat.

Der Flug
     
    Vor 16 Uhr gab es keinen freien Platz mehr nach Wien. Noch dazu kostete ein Flug hin, ohne retour, 300 Euro. Ich zahlte, ohne nachzudenken. Geld hatte seine Bedeutung verloren. Mein Gesicht war eine Maske der Höflichkeit, steinern vor Gleichgültigkeit. Ich ging sofort in die internationale Zone, wo ich mich erschöpft auf eine Bank setzte. Die riesige Flughafenuhr zeigte 10 Uhr an.
    Ich fühlte mich seltsam, als ob ich meinen Körper, meinen Kopf verlassen

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