Klotz, Der Tod Und Das Absurde
fünfundvierzig und null Uhr fünfzehn
eingetreten. Dies ist am Stadium des Fliegenmadenbefalls klar ablesbar.«
Gerade als Lackner die Pinzette geöffnet hatte und die Made Richtung
Schachtel fiel, fiel das Diktiergerät. Klotz, in der Hoffnung, den Apparat
auffangen zu können, führte eine hastige Bewegung aus, rutschte auf dem weichen
Waldboden aus und fiel. Fiel auf Lackner, der seinerseits wiederum fiel. Mit
ausgestrecktem Ellenbogen in das geöffnete Fenster auf der Fahrerseite.
Klotz sah verwirrt auf. Dieses Geräusch hatte er schon mal gehört.
Letztes Jahr im August, kurz bevor er nach Italien in den Urlaub hatte fahren
wollen. Das Taxi hatte unten gewartet. Und dieser Scheiß-Koffer. Nur noch
zwanzig Minuten, bis der Zug abfuhr. Die Treppe, das Taxi, der Koffer, der Fuß.
Knacks. Das war’s. Sechs Wochen Gips. Kein Urlaub, kein Meer, keine Sonne, kein
gar nichts. – Aber das Geräusch, dieses eigenartige knacksende Geräusch, das
hatte er sich gemerkt. Es bestand kein Zweifel: Irgendwo hier in unmittelbarer
Nähe war gerade ein Knochen gebrochen.
Escherlich starrte durch das Beifahrerfenster des Golf. Dort, wo er
vorhin noch das Gesicht der Leiche im Profil hatte erkennen können, sah er
jetzt auf deren dunkelblondes Haupthaar, das im hinteren Bereich ansatzweise
schon Spuren eines altersbedingten Haarausfalls aufwies. Laanschaf, der die
Veränderung ebenfalls bemerkt hatte, fasste sich instinktiv an sein öliges
Haupt. Als ob da noch was wachsen würde!
Lackner tobte. Und Klotz, der im Dreck lag, untersuchte, ob sein
Diktiergerät noch funktionierte. Wie sollte er dieses Malheur der
Staatsanwältin verklickern? Und Huber, dem Polizeipräsidenten? Ob es eine
Möglichkeit gab, diesen postmortalen Genickbruch irgendwie zu vertuschen? Aus
den noch nicht geschriebenen Protokollen zu löschen? Andererseits war es nicht
er gewesen, dem dieses überaus peinliche Missgeschick unterlaufen war. Er war nur
ausgerutscht und hingefallen. Seinem Diktiergerät nachgesprungen, das er jetzt
irgendeinem Mülleimer überantworten konnte. Warum fällt dieser Lackner auch so
blöd, dass er mit seinem Ellenbogen in das Fahrerfenster stößt und dem Toten
das Genick bricht? Wär doch gar nicht mehr nötig gewesen. So ein Eumel, dieser
Lackner!
Escherlich versuchte, den wütenden Gerichtsmediziner zu besänftigen:
»Jetzt beruhig dich mal, Lackner. Das bringen wir schon wieder ins Lot. Weißt
du schon etwas über die Identität des Toten?«
»Guck doch im Handschuhfach nach, du Arsch! Vielleicht hat er da
seine Brieftasche reingeschmissen, bevor er in den Beton gesprungen ist!«
Dr. Ron Lackner, erster Pathologe des gerichtsmedizinischen
Instituts in Nürnberg, stapfte wutentbrannt aus dem Waldstück in Richtung
Krankenwagen.
Ganze zwei Sekunden lang sah ihm Klotz nach und fühlte einen Anflug
von Schuldbewusstsein. Na, die würden ihm schon was geben, die Sanis. Die
hatten immer was dabei für solche Fälle, so schöne rosa Pillen. Plötzlich kitzelte
es Klotz in der Nase. Er musste niesen. Als er wieder aufblickte, sah er eine
Fliegenmade, die auf seinem Diktiergerät zappelte, genau da, wo Counter
Reset stand.
»Was ist denn hier los?«, hörte man plötzlich eine weibliche Stimme.
Laanschaf und Escherlich drehten sich gleichzeitig um. Beinahe wäre
Escherlich mit Laanschafs schmieriger Birne zusammengestoßen.
»Hallo, Astrid. Und, alles klar? Wie läuft’s? Schon was
rausgefunden?«
Escherlich lächelte. Laanschaf wandte sich ab, nahm irgendwelche
Utensilien aus seinem Agentenkoffer und ging rüber zum Golf.
Oberkommissarin Astrid Haevernick sah Escherlich kurz mit dem ihr
eigenen wachen Blick an, der aus mandelförmigen grünen Augen strahlte. Neigte
den blonden Kopf, der sich durch seine klaren, geraden Züge und eine strenge
Pferdeschwanzfrisur auszeichnete. Kramte einen Zettel hervor und erstattete
Bericht.
»Also. Okay. Um sieben Uhr dreißig hat ein Jogger den Golf mit der
Leiche entdeckt. Ich hab ihm gesagt, er soll sich für euch zur Verfügung
halten. Die Sanis kümmern sich noch um ihn. Die Überprüfung des Autos hat
ergeben, dass die Autonummer behördlicherseits nicht erfasst ist.«
»Falsche Kennzeichen?«
»Scheint so.«
»Und der Lkw?«
»Der Lkw ist auf einen gewissen Breslauer zugelassen, der hier in
der Fränkischen Schweiz ein Betonwerk betreibt.«
Klotz hatte seine Mannschaft zusammengerufen, um eine kleine
Lagebesprechung abzuhalten. Nachdem ihm der vorläufige Stand der
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