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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Klier
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abzurunden, die Hose kräftig knattern.
    »Und edz gemmer nai! Des Bier iss alle!«, schloss er in einem
beinahe andächtig klingendem Tonfall.
    Die Tapete musste mal weiß gewesen sein. Vor vielen Jahren. Überall
schien ein schmieriger, fettiger Film auf den Möbeln zu haften. Sogar am
gekachelten Fußboden spürte er diese speckige Schmutzschicht. Gummler bot ihm
einen Platz auf der Eckbank an, direkt unter einem schweren hölzernen Kruzifix.
    Auf dem Tisch stand eine Buttercremetorte, die jetzt keinen
Adressaten mehr hatte. Mit Sprühsahne war eine Siebenunddreißig obendrauf
geschrieben. Klotz fühlte so etwas wie Mitleid in sich aufsteigen, und nachdem
er zu Erwin Gummler, der gerade dabei war, sich den zweiten Obstler
einzuschenken, hinübergesehen hatte, fühlte er sich vollends elend.
    »Herr Gummler, ich muss Ihnen etwas mitteilen.«
    Der alte Mann lehnte unbeeindruckt an der Küchenzeile und stürzte
den Obstler hinunter. Klotz betrachtete den schweren Aschenbecher aus
Braunglas, der auf dem Wachstischtuch klebte, und zündete sich eine Zigarette
an.
    »Ihr Sohn, Herr Gummler …«
    »Joo?«
    »Ihr Sohn …«
    Gummler sah Klotz aus weit aufgerissenen Augen an. Er hatte das
Obstlerglas weggestellt und stattdessen die frisch angebrochene Flasche in die
Hand genommen.
    »… lebt nicht mehr.«
    Die Flasche war nicht mehr ganz halb voll, als er sie wieder
abgesetzt hatte. Klotz war aufgestanden, hatte einen Stuhl vom Tisch weggezogen
und bedeutete Gummler, dass er sich doch bitte setzen möge.
    »Naa, naa. Es geiht schoo. Songs, woars a Unfall?«
    Schweigen, drei Sekunden lang.
    »So genau …«
    »Midm Mischer?«
    »Ja.«
    Klotz fühlte sich etwas erleichtert. Er hatte die Hiobsbotschaft
überbringen können, ohne irgendwelche Details preisgeben zu müssen. Die ganze
Sache war doch ganz gut und vor allem ergebnisorientiert abgelaufen.
    »Sagen Sie, Herr Gummler, die Mutter?«
    »Vuur drei Joar is gschdorm.«
    Der Alte nahm einen Schluck und Klotz einen Zug. Als er den Rauch
ausblies, setzte Gummler hinzu:
    »Lungäkrebs.«
    So etwas Ähnliches wie ein Lächeln machte sich auf dem zerfurchten,
wettergegerbten Gesicht des Alten breit, und Klotz musste husten. Er hatte sich
verschluckt.
    Als Klotz sich wieder erholt hatte und aufblicken konnte, sah er
Gummler, der der Länge nach auf dem Küchenboden lag. Von der Obstlerflasche,
die sich langsam in eine Ecke bewegte, kam ein kullerndes Geräusch.
    Klotz sprang sofort auf und überprüfte Atmung und Puls. Dann
überlegte er, ob er einen Krankenwagen verständigen sollte. Andererseits.
Heutzutage wurde bei jedem Wehwehchen ja gleich der Notarzt gerufen. Also
entschied er, dass der Alte das schon schaffen würde. Brachte ihn in die
stabile Seitenlage und ging aus dem Zimmer.
    Thorsten Gummlers Wohnräume, wenn man sie denn so bezeichnen wollte,
lagen im ersten Stock. Über einen Tapeziertisch hinweg, der eine komplette
Seite des Zimmers ausfüllte, warf Klotz einen Blick aus dem Fenster,
betrachtete die Reste des Feuers, die Klappstühle, die leeren Bierflaschen und
den verwichsten Käfer.
    Dieser Gummler musste ein ziemlicher Freak gewesen sein, ging es
Klotz durch den Kopf, als er sich auf den Drehstuhl setzte, der an dem
Tapeziertisch stand. Er sah sich um: Soweit er es beurteilen konnte, gehörten
die Dinge, die da herumlagen, in den Bereich Militär-Modellbau: Zwischen einem
Chaos von Farbtöpfchen, Pinseln, Drahtspulen, Klemmen, Klammern, Pinzetten und
Pipetten purzelten halb fertige Soldaten in grauen Tarnanzügen herum. Oft nur
mit einem Arm oder ohne Kopf und Beine. Panzerwannen, Maschinengewehre, Räder,
Reifen, Geschützrohre und -türme, die hie und da aus dem Schlachtfeld ragten,
rundeten das Arrangement auf gelungene Art und Weise ab. Was für ein
realistisches Bild des Krieges, dachte sich Klotz und drehte den Stuhl auf die
andere Seite.
    Neben einem Bett, das von der hygienischen Seite her eher an ein
Hundelager erinnerte, stapelten sich eine Reihe von Modellbausätzen, die sich
noch in ihrer Verpackung befanden: Stuka, Spitfire, Jagdtiger, Hetzer, T-34,
Stalingrad, Götterdämmerung – na prima!
    Zwischen dem Bett und dem Tapeziertisch stand eine Vitrine, in der
sich außer einigen Büchern ein einziges fertiggestelltes Produkt aus Gummlers
Waffenschmiede präsentierte. Klotz rollte mit seinem Sessel heran. Er sah eine
Wüstenlandschaft, auf der ein paar Soldaten herumstanden. Die Figuren waren
ohne irgendeinen erkennbaren Bezug zueinander

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