Klotz, Der Tod Und Das Absurde
knallte sie auf den Tresen. »Hasta la vista, señoritas!«
Sie traten hinaus auf die
abendschwüle Theatergasse, drängten sich an dem kleinen Caipirinha-Ausschank
vorbei und ließen sich über den Salzmarkt treiben, wo die spontane
Samba-Session ihrem atemlosen Höhepunkt entgegenjagte.
»Ey, nicht so hüftsteif, Alter!«
Ein gertenschlankes Girl mit
endlos langen schwarzen Haaren, im orangefarbenen »Coburg SambaCity!«-Shirt und
knallbunter Hippiehose, versperrte Charly tänzelnd den Weg. Ihre Pupillen waren
merkwürdig groß und starr, in der Linken schwenkte sie eine halb leere
Alcopopflasche.
»Wahnsinn, Lady!« Winter
zwinkerte ihr verschmitzt von der Seite zu. »Du siehst ja aus wie Cher 1965!«
»Und sie ist voll wie Janis
Joplin 1967«, unterbrach ihn Charly
und zog ihn weiter. »Das war doch noch nie unsere Kragenweite, oder?«
Winter schüttelte amüsiert den
Kopf und wandte sich bereitwillig neuen Zielen zu. »Mensch, schau dir das da
drüben vor der Bühne an! Ausgelassene Lebensfreude, in unserem ehrbar-seriösen
Coburg, bei steifen Residenzlern! Ich werd’s nie begreifen!« Er zeigte auf
einen grauhaarigen Brillenträger mit sorgfältig gestutztem Bart, der, wie
etliche andere Festivalbesucher, stolz ein gelbes Brasilientrikot trug und, mit
Gürteltäschchen, Zip-Hose und Trekkingsandalen, inmitten anderer tanzender Fans
verzückt dem Samba-Takt zu folgen versuchte.
»Der sieht doch aus wie der alte
Kripo-Geyer! Gibt’s den eigentlich noch?«
»Längst pensioniert«, winkte
Charly ab. »Den hat doch vor zwei Jahren der Löhlein beerbt.«
»Ausgerechnet Löhlein?«, feixte
Winter ungläubig. »Unser Arschkriecher Heinz-Uwe ist jetzt Abteilungsleiter?«
Charly zuckte gelangweilt mit
den Achseln. »Was hast du denn erwartet? Loyalität vor Qualität, du kennst doch
den alten Führungsgrundsatz.«
»Hättest halt doch öfter mal
deinen Mund halten sollen!« Winter klopfte ihm süffisant auf die Schulter.
»Dann wärst du jetzt mit fünfundvierzig nicht bloß Kommissar! Wie hat der Alte
immer gesagt? ›Kritik ist wichtig und erwünscht, aber bitte nicht jetzt und
hier!‹«
»Hör bloß auf, die Zeiten sind
Gott sei Dank vorbei! Und die große Reform der bayerischen Polizei hat man ja
auch wieder zurückgenommen. – Da! Schau!«
Mit einer winzigen Handbewegung
zeigte Charly in den atemberaubenden Ausschnitt einer Brasilianerin, die sich
gerade gebückt hatte, um Steinchen aus ihren Schuhen zu schütteln. »Und das ist
übrigens der wahre Grund, warum der Schlossplatz nie geteert wird und hier
immer nur der Splittbelag erneuert wird!«
Winter ließ ein leises,
anerkennendes Pfeifen hören.
»Du sagst, die alten Zeiten sind
vorbei … wie macht sich denn der neue Polizeichef?«
»Ritter? Passt schon«, nickte
Charly. »Ein paar moderne Führungsmätzchen natürlich, schließlich ist er ja ein
Studienfreund von Staatssekretär Vöhringer, unserem nächsten bayerischen
Innenminister. Ritter will vor allem Ergebnisse sehen, schnelle und gute
Ergebnisse.« Er grinste. »Aber damit komme ich besser klar als ein
Reichsbedenkenträger wie unser Heinz-Uwe Löhlein.«
Sie hatten den
schwarz-rot-goldenen »Leikeim«-Bierausschank vor der Ehrenburg erreicht und
schlossen sich, in wortloser Übereinstimmung, der Warteschlange an. In der
sanft herannahenden Abenddämmerung hatten alle Gastro-Zelte, Verkaufsstände und VIP -Pavillons mittlerweile ihre
blauen, roten und gelben Lichterketten eingeschaltet. Am anderen Ende des
Schlossplatzes, auf der taghell ausgeleuchteten Hauptbühne vor dem
Landestheater, war der Moderator, ein kleinwüchsiger Berufsjugendlicher des
Lokalradios, in seinem Element: In weißer Jeans, weißem Shirt und mit weißem
Headset fegte er wie ein Irrwisch über die Bühne, um, mit heiser überkippender
Stimme, den dreitausend Fans den Top-Act des Abends zu präsentieren: »Und hier
sind sie; begrüßt mit mir, aus Pernambuco in Brasilien, welcome to
Coburg-Samba-City, welcome the one and only Ba-te-ria do Sam-ba Bra-sil!«
23:03 Uhr
Letzte Zugabe der »Bateria
do Samba Brasil«: Aufpeitschend hämmerten die Samba-Rhythmen durch die
schwülwarme Vollmondnacht. Trommeln und Tamburine rasten wie entfesselt,
trieben Tänzerinnen und Zuschauer in einen infernalischen Wirbel purer
Leidenschaft und Lebenslust; wie elektrisiert zuckten schweißnasse Leiber zum
stampfenden Stakkato des Samba-Grooves – Ekstase …!
… Ekstase! dachte Jasmin Keller
fasziniert, Samba ist die
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