Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Zufall. Ich nenne es Glück. Haevernick hatte
während Ihrer Abwesenheit weiterermittelt, auf eigene Faust. Dummerweise war
sie der Lösung zu nah, als dass ich sie hätte weitermachen lassen können. Sie
war zum Risikofaktor geworden. Da musste ich einschreiten. Aber ich kann Sie
beruhigen. Ich bin nicht an Haevernick interessiert. Mit ihr habe ich keine
Rechnung offen.«
Zebisch legte einen Zwanzigeuroschein auf den Tisch.
»Wir werden jetzt gehen, und Sie werden mir folgen. Wenn Sie
flüchten oder irgendeine unkontrollierte Handlung begehen, ist Haevernick tot.
Glauben Sie mir, niemand wird Haevernick finden. Sie wird jämmerlich zugrunde
gehen.«
Zebisch und Klotz verließen das Lokal. Es war unglaublich, aber
niemand in dem Club hatte ihre Unterhaltung bemerkt. Was begreifen Menschen
schon, wenn sie in Feierlaune sind? Vermutlich alles Mögliche, aber alles, was
mit Leid und Tragik zu tun hat, wird weit vom Bewusstsein weggeschoben. Und
irgendwie war das ja auch verständlich.
Als sie draußen waren, holte Klotz seine Zigarettenschachtel heraus.
Er schaute in Richtung Kongresshalle und warf die Schachtel auf den Boden.
Zebisch schien irritiert.
»Was soll das?«
»Ach, nichts. Ich will nur mit dem Rauchen aufhören. Silvester. Zeit
für gute Vorsätze.«
»Na ja, ist vielleicht besser so. Da soll doch sowieso bald so ein
Rauchverbot kommen.«
Vor ihnen tauchte das Märzfeld auf, das den Nazis als
Aufmarschgelände gedient hatte. Als sie an der Zeppelintribüne angelangt waren,
wurde Klotz von Zebisch am Arm gepackt und auf die Tribüne gezerrt. Überall
waren größere und kleinere Gruppen von Leuten versammelt. Zumeist handelte es
sich um Jugendliche, die Alkohol tranken und grölten. Immer wieder gingen
Raketen und Böller in die Luft.
Sie steuerten auf das Eingangsportal zu. Gegenüber dem wuchtigen
quadratischen Bau, der sich in der Mitte der Tribüne befand, war das
Rednerpult, auf dem Adolf Hitler und seine Schergen ihre unheilvollen Brüllreden
gehalten hatten. Jetzt standen da drei Jugendliche herum. Feixten, pafften
Zigaretten, spuckten auf den Boden, nippten an ihren Bierflaschen und machten
den Hitlergruß. Klotz wäre am liebsten zu ihnen hinübergegangen, um sie
ordentlich zu ohrfeigen. Aber leider ging das jetzt nicht.
Sie standen vor der dunklen stählernen Flügeltür in der Mitte des
Eingangsportals. Zebisch zog einen Schlüssel aus seiner Jackentasche und
öffnete die Tür. Dann drückte er Klotz dagegen, bis sich der massive Stahl so
weit bewegt hatte, dass beide durch den Spalt passten.
Klotz wunderte sich. Er hatte nicht gewusst, dass sich unter der
Nazitribüne ein riesiger, lang gezogener Raum befand. Er blickte zur Decke,
über die sich ein Mosaik zog, in das ein Muster aus goldenen Hakenkreuzen
eingearbeitet war.
Zebisch packte Klotz unsanft an der Schulter und schob ihn zu einer
riesigen metallenen Schale, die am Ende des Raumes auf einem Podest stand. Er
holte ein Paar Handschellen hervor, mit denen er Klotz an einem eisernen Reif fixierte,
der sich an dem Podest befand. Klotz musste auf die Knie. Er spürte die Kälte
des Marmorbodens.
Zebisch hatte ihn losgelassen. Klotz konnte hören, wie sich das
Hallen seiner Schritte auf dem blank polierten Boden langsam entfernte. Als er
am anderen Ende des Raumes angekommen war, begann er zu sprechen:
»Nun zu uns beiden, Herr Hauptkommissar Klotz.«
»Was ist mit Haevernick?«
»Machen Sie sich da keine Sorgen. Ich werde Haevernick freilassen,
wenn ich mit Ihnen fertig bin.«
»Ich will wissen, wo sie ist.«
»Das spielt jetzt doch sowieso keine Rolle mehr.«
»Zebisch! Du hast mir einen Handel vorgeschlagen. Was soll das? Du
kannst mich umbringen, das ist mir scheißegal. Aber glaube nicht, dass ich dir
die Genugtuung geben werde, mich zu erniedrigen. Kein Wort mehr von mir, bevor
du mir nicht sagst, wo sie ist. Ich will ein Lebenszeichen.«
Klotz war erstaunt über den Mut, den er in der Situation aufbrachte.
Schnell kam Zebisch mit einer Pistole in der Hand auf ihn zu. Holte mit der
Waffe aus und schlug sie Klotz gegen den Kopf. Klotz fühlte sich wie betäubt.
Dann sah er, wie sein Blut auf den Marmorboden tropfte. Blut und Boden, dachte
er und wunderte sich ein wenig darüber, dass er seinen ironischen Witz noch
nicht verloren hatte. Blut und Boden, da sind wir ja an der richtigen
Wirkungsstätte, hier in dieser Nazitribüne im Südosten der Stadt.
Zebisch war wieder an das andere Ende des Raumes gegangen. Er
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