Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
müsste die Nachbarn fragen«, antwortete der Mann achselzuckend.
Bergkamp warf ihm einen zornigen Blick zu. »Und warum hat das noch niemand in die Wege geleitet?«
»Wir haben auf die Kripo gewartet«, gab der Beamte frech grinsend zurück.
Brandt gab den Männern von der Spurensicherung ein Zeichen, dass sie sich nun um den Tatort kümmern konnten. Professionell, ohne große Leidenschaft, machten sie sich ans Werk. Sie alle waren der gleichen Überzeugung: Ein wehrloser Alter wird in seiner Wohnung überfallen, erwürgt und ausgeraubt. Vermutlich von jemandem, den er kannte. Kein ungewöhnlicher Fall. Die Kripo würde das Umfeld des Toten befragen, ein paar Verdächtige unter Druck setzen und am Ende würden sie, die Spurensicherung, die entscheidenden Fakten liefern, um den Täter, wenn er nicht ohnehin ein Geständnis ablegte, überführen zu können.
»Wir müssen herausfinden, mit wem der Mann zu tun hatte und ob etwas fehlt«, sagte Bergkamp.
»Na, mal los, Herr Hauptkommissar. Ich fürchte, bis Sie eine neue Kollegin haben, die Sie scheuchen können, werden Sie das selber erledigen müssen.« Brandt klopfte Bergkamp kurz auf die Schulter, als er sich an ihm vorbei nach draußen drängte. »Meinen Bericht bekommen Sie wie immer so schnell wie möglich. Wissen Sie ja.« Er nickte kurz in die Runde und verließ die Wohnung.
Bergkamp blieb wenig glücklich am Tatort zurück. Es war schon eine Weile her, dass seine frühere Partnerin Paula Wagner sich hatte versetzen lassen. Immer noch musste er den größten Teil seiner Arbeit allein erledigen.
Mit einem verärgerten Knurren ging er ins Treppenhaus und unterhielt sich mit den Schaulustigen auf der Treppe. Die meisten hatten wenig zu sagen. Der alte Mann wohnte angeblich schon ewig hier, man kannte sich aus dem Hausflur, sagte ›Guten Tag‹ und ›Auf Wiedersehen‹. Nein, auffällig sei der Mann nicht gewesen und niemand hatte etwas Besonderes bemerkt. Missmutig beendete Bergkamp die Befragung und ließ den uniformierten Beamten die Personalien aufnehmen. Ein wenig ängstlich schaute die Gruppe der Schaulustigen im Treppenhaus nun in die immer noch geöffnete Tür der Erdgeschosswohnung, wo die Leiche des Alten mittlerweile in einem schmucklosen Zinksarg auf ihren Abtransport wartete. Zwei Männer der Spurensicherung in ihren typischen weißen Ganzkörperanzügen suchten auf den Möbeln und Schubladen nach Fingerabdrücken. Der Hauptkommissar hoffte, dass sie Spuren finden wu ̈ rden, die ihm die Arbeit erleichterten.
4
Sein Kopf hing unterhalb der Tischplatte. Von hier sah er durch die offene Tür und den Flur bis zum Wohnungseingang. Er spannte die Bauchmuskeln an und krümmte sich zusammen, bis sein Kopf fast an seine Knie stieß. Aus der aufrechten Kopfposition schaute er hinaus auf einen kleinen verwilderten Grünstreifen, hinter dem eine alte Backsteinmauer die Grenze zum Nachbargrundstück markierte. Auf der Fensterbank standen drei unterschiedlich schwere Kugelhanteln. Sie erinnerten an Kanonenkugeln – nur mit Griff. Großartige Trainingsgeräte und wirksamer Schutz gegen Einbrecher. Wer immer das Fenster aushebeln wollte, musste beim Öffnen über 60 Kilogramm beiseite schieben.
Er ließ sich wieder absinken und atmete dabei ein. Im Augenwinkel sah er das Chargesheimer-Foto mit den tanzenden Pärchen. Erneut zog er den Körper zusammen, seine Gedanken allerdings waren bei dem Foto.
Was hatte dem Alten Angst gemacht? Der Junge auf dem Bild? Er musste ihn zum Reden bringen. Während der Detektiv in seinen Gravity Boots an einer fest verdübelten Reckstange trainierte, dachte er darüber nach, wie er das bewerkstelligen konnte.
Als er mit dem Kopf ein weiteres Mal an den Knien hing, hörte er einen Schlüssel in der Wohnungstür. Marius ließ sich langsam fallen und blickte seiner Freundin Verena Talbot unter dem Tisch hindurch entgegen. Ihr Schritt wirkte unbewusst zögerlich, als betrete sie das gemeinsame Büro mit einem leichten Widerwillen. Marius spannte die Muskeln an und zog sich erneut hoch. Verena blieb in der Tür stehen und blickte auf das Schauspiel, das sie – wie Marius wusste – durchaus schätzte.
Sie stellte ihre Tasche auf den Schreibtisch, ein Vitra-Design-Klassiker, der eigentlich ihr gehörte, und griff nach dem darauf liegenden Foto.
»Chargesheimer? Du willst doch nicht etwa dein Studium beenden?«
Marius antwortete, ohne dabei seine Übungen zu unterbrechen. »Um Gottes willen, nein! Ein Klient möchte,
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