König Artus
oblige und alles, was mich für die Unterdrückten und gegen den Unterdrücker einnehmen mag, aus diesem geheimnisvollen Buch habe. Im Unterschied zu beinahe allen anderen Kinderbüchern hat es meine zarte Seele nie verletzt. Ich stieß mich nicht daran, daß es Uther Pendragon nach der Ehefrau seines Vasallen gelüstete und daß er sie mit List nahm. Ich bekam keine Angst, als ich feststellte, daß es nicht nur edle, sondern auch böse Ritter gab. In meinem eigenen Heimatort gingen Menschen im Gewand der Tugend umher, von denen ich wußte, daß sie böse waren. Wenn mich Schmerz oder Kummer übermannte, wenn ich mich nicht mehr auskannte, suchte ich bei meinem Zauberbuch Zuflucht. Kinder können gewalttätig und grausam, doch sie können auch gut sein – was alles auf mich zutraf –, und all dies fand sich in diesem Buch der Geheimnisse. Wenn ich mich zwischen Liebe und Treue nicht entscheiden konnte, so hatte dies auch Lancelot nicht gekonnt. Ich verstand Mordreds finstere Gedanken, denn er war gleichfalls in mir, und auch von Galahad hatte ich etwas, wenn auch vielleicht nicht genug. Doch das Gralsgefühl war da, tief eingepflanzt, und wird mir vielleicht immer bleiben.
Später suchte ich die Quellen, weil der Zauber fortwirkte – das Black Book of Caermarthen , »The Mabinogion and Other Welsh Tales« aus dem Red Book of Hergist, De Excidio Britanniae von Gildas, die Historia Britonum von Giraldus Cambrensis [recte: Nennius] und viele der »Frensshe« [französischen] Bücher, von denen Malory spricht. Und neben den Quellen las ich auch, was Gelehrtenfleiß geschürft und zutage gefördert hat – Arbeiten von Chambers, Sommer, Gollancz, Saintsbury –, doch immer wieder kehrte ich zu Malory zurück – oder vielleicht sollte ich sagen, zu Caxtons Malory, denn außer ihm gab es keinen anderen, bis vor gut dreißig Jahren die Nachricht kam, daß in der Fellows Library im Winchester College ein unbekanntes Malory-Manuskript entdeckt worden sei. Dieser Fund elektrisierte mich, doch da ich kein Literaturwissenschaftler, sondern nur ein Enthusiast bin, hatte ich weder eine Möglichkeit, noch besaß ich die Qualifikation, die Entdeckung zu prüfen, bis dann 1947 Eugène Vinaver, Professor für französische Sprache und Literatur an der University of Manchester, anhand des Winchester-Textes seine großartige dreibändige Ausgabe der Werke von Sir Thomas Malory für die Oxford University herausgab. Für diese Aufgabe hätte man keinen Besseren finden können als Professor Vinaver mit seiner umfassenden Kenntnis nicht nur der »Frensshe« Bücher, sondern auch der walisischen, schottischen, bretonischen und englischen Quellen. Er ist an diese Arbeit nicht nur als Wissenschaftler herangegangen, sondern hat ihr darüber hinaus auch jenes ehrfürchtige Staunen und Entzücken zugebracht, an dem es der Methodik eines Schulgelehrten nur zu oft gebricht.
Schon seit langem war es mein Wunsch, die Erzählungen von König Arthur [Artus] und den Rittern der Tafelrunde in den heutigen Sprachgebrauch zu übertragen. Sie sind selbst in jenen von uns lebendig, die sie nicht gelesen haben. Doch uns Menschen von heute fehlt vielleicht die Geduld für die altertümlichen Wörter und gemessenen Rhythmen Malorys. Mein frühes und anhaltendes Entzücken an diesen Dingen wird nicht allgemein geteilt. Ich wollte die Erzählungen für meine jungen Söhne und für andere, nicht so junge Söhne in unserer Alltagssprache aufschreiben, mit ihrem ursprünglichen Sinngehalt, ohne etwas wegzulassen oder hinzuzufügen – vielleicht als Konkurrenz zum Film und zu den Comic-strip-Travestien, den einzig verfügbaren Quellen für all jene Kinder und andere Zeitgenossen, die nicht willens sind, sich mit Malorys schwieriger Schreibweise und archaischer Sprache auseinanderzusetzen. Es wird mir Freude und Befriedigung gewähren, wenn mir dies gelingt und wenn ich das Wunderbare an den Erzählungen und ihren Zauber erhalten kann. Ich habe keinesfalls den Wunsch, Malory umzuschreiben, ihn zu verkürzen, zu verändern, abzuschwächen oder zu sentimentalisieren. Ich glaube, daß die Erzählungen stark genug sind, meine Eingriffe auszuhalten, die sie im besten Fall mehr Lesern zugänglich machen werden und im schlimmsten Malory nicht viel Schaden zufügen können. Nach all diesen Jahren lege ich die Caxton-Ausgabe meiner ersten Liebe beiseite und gehe zum Winchester-Manuskript über, das nach meiner Meinung an Malory viel näher herankommt als die
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