Kohärenz 02 - Hide*Out
Warnsignale
1 | Das Haus mit den gelben Fensterläden stand einsam am Ende einer staubigen Straße. Einst war es eine kleine Farm gewesen, doch irgendwann war der nahe gelegene Bach versiegt und das Land ringsum ausgetrocknet. Nun erhoben sich abgestorbene Bäume und verdorrte Büsche auf dem Gelände und das Gras auf den Wiesen war fahlbraun statt grün.
Doch das Haus war noch bewohnt. Auf einem Stück Rasen vor der Tür lag buntes Kinderspielzeug aus Plastik, über einem sandgefüllten Erdloch stand eine Rutsche. Hinter den Fensterscheiben leuchtete abends Licht.
So war es auch an dem Abend, an dem ein cremeweißer Lincoln von der Hauptstraße auf die Schotterpiste zu diesem Haus abbog. Zwei ältere Damen saßen darin, schweigend. Hätte sie jemand beobachtet, er hätte unweigerlich den Eindruck gewonnen, dass sie genau wussten, wohin sie wollten.
Aber es war niemand da, der sie hätte beobachten können. Die Frau und das Kind, die in dem Haus mit den gelben Fensterläden wohnten, lebten dort alleine. Besuch hatten sie so gut wie nie.
Der Wagen folgte der Piste, die hügelan führte, dann wieder hinab und um ein Stück Wald herum. Erst hier kam das Haus in Sicht. Der Lincoln fuhr zielstrebig weiter und hielt direkt davor, neben einem Honda, dessen zahlreiche Rostbeulen die Dunkelheit gnädig verbarg.
Die beiden Frauen stiegen aus. Die eine hatte die Statur einer Ringerin, die andere war schlank und trug eine Brille, die fünfzig Jahre zuvor modern gewesen wäre. Beide waren weiß gekleidet.
Die Brillenträgerin nahm einen schmalen Koffer aus dem Kofferraum, dann gingen beide auf das Haus zu. Doch noch ehe sie es erreicht hatten, öffnete sich die Haustür. Eine dünne, dunkelhaarige Frau trat heraus. Sie hielt ein Mobiltelefon in der Hand und musterte die beiden Ankömmlinge äußerst misstrauisch.
»Guten Abend«, sagte sie scharf und in einem Ton, der ihre Worte unmissverständlich wie Keinen Schritt weiter! klingen ließ. »Was führt Sie her, wenn ich fragen darf?«
Die beiden Frauen waren stehen geblieben. Die mit der Brille sagte: »Guten Abend. Wir suchen Miss Patricia Batt.«
»Steht vor Ihnen«, sagte die Frau in der Tür. Sie hielt das Telefon immer noch wie eine Waffe.
»Mein Name ist Dr. Edith Wells, ich bin Kinderärztin«, fuhr die Frau mit der Brille fort. Sie deutete auf ihre Begleiterin. »Das ist Lara Brown, meine Assistentin. Wir kommen wegen Ihres Sohnes Eric.«
Die skeptischen Furchen auf der Stirn der Frau in der Haustür vertieften sich. »Wegen Eric? Was ist mit ihm?«
»Forrester Foundation«, sagte die Frau, die behauptet hatte, Kinderärztin zu sein. »Sie müssten vor Kurzem einen Brief bekommen haben, der unseren Besuch angekündigt hat.«
»Ich habe keinen Brief bekommen.«
»Oh.« Die beiden Frauen wechselten einen Blick. Dann sagte die Kinderärztin: »Das ist jetzt unangenehm. So etwas sollte eigentlich nicht vorkommen. Wir können ein andermal wiederkommen, wenn Ihnen das lieber ist…«
»Worum geht es denn? Was ist mit meinem Sohn?«
»Nun, Eric leidet an Diabetes, nicht wahr? Und wir… Von der Forrester Foundation haben Sie doch sicher schon gehört?«
»Tut mir leid. Nein.« In der Stimme der Frau, der das Haus gehörte, schwang Sorge mit.
»Die Stiftung wurde vor etwa sechzig Jahren von dem Industriellen Maximilian Forrester gegründet, nachdem er einen Sohn durch Diabetes verloren hatte. Unser Schwerpunkt ist die Entwicklung wirksamerer Therapien. Meine Kollegin und ich haben heute den Weg zu Ihnen unternommen, weil wir Ihnen eine neue, bessere Behandlungsmethode für Eric vorstellen wollen.« Sie hob den Koffer in ihrer Hand an. »Ich habe Informationsmaterial dabei, aber erfahrungsgemäß ist es ratsam, dass ich Ihnen alles erkläre und eventuelle Fragen beantworte.«
»Was ist das für eine Therapie?«
»Ich muss dazu gleich sagen, dass die eigentliche Behandlung Ihr Arzt durchführen würde – Sie sind bei Dr. Kaufman hier im Ort, nicht wahr?«
Die Frau in der Tür kaute zweifelnd auf ihrer Unterlippe. Sie nickte nur.
»Nun, es würde darauf hinauslaufen, dass Eric keine Spritzen mehr bekommen müsste.« Die Frau mit der altmodischen Brille hob die Schultern. »Wenn es Ihnen heute ungelegen kommt, können wir gern einen Termin für einen Besuch an einem anderen Abend ausmachen. Allerdings wohl erst…« Sie zückte einen altmodischen Taschenkalender und blätterte darin herum. »Hmm… also, diesen Monat geht es nicht mehr. Das wäre dann im
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