Kollaps
normalen, jahre- oder jahrzehntelangen Schwankungen zunächst unbemerkt, den Menschen fällt es schwer, sich auf Einschränkungen bei der Nutzung gemeinsamer Ressourcen zu einigen (die so genannte »Tragödie der Gemeingüter« oder »Tragik der Allmende«, die in späteren Kapiteln genauer erörtert wird), und die Ökosysteme sind so komplex, dass es selbst einem professionellen Ökologen praktisch unmöglich ist, die Folgen menschlicher Eingriffe vorauszusagen. Umweltprobleme, die sich heute nur schwer beherrschen lassen, waren in der Vergangenheit sicher noch schwieriger zu handhaben. Insbesondere für Völker früherer Zeiten, die Analphabeten waren und keine Fallberichte über Gesellschaftszusammenbrüche lesen konnten, stellten Umweltschäden eine tragische, unvorhergesehene, ungewollte Folge ihrer besten Absichten dar und hatten nichts mit einem moralisch verwerflichen, blinden oder bewussten Egoismus zu tun. Die Gesellschaften, die am Ende zusammenbrachen, waren nicht dumm oder primitiv, sondern sie gehörten (wie beispielsweise die Maya) zu den kreativsten und (eine Zeit lang) am höchsten entwickelten und erfolgreichsten ihrer Epoche.
Die Völker früherer Zeiten waren weder unkundige, schlechte Verwalter, die es verdient hatten, dass sie am Ende ausgelöscht oder vertrieben wurden, noch die allwissenden, verantwortungsvollen Umweltschützer, die im Gegensatz zu uns alle Probleme lösen konnten. Sie waren Menschen wie wir und standen in einem weit gefassten Sinn vor ganz ähnlichen Problemen. Sie waren entweder zum Erfolg oder zum Scheitern verdammt, und die Umstände, die dazu führten, lassen in ganz ähnlicher Form heute auch uns Erfolg haben oder scheitern. Zwischen der Lage früherer Völker und unserer heutigen Situation bestehen natürlich auch Unterschiede, aber die Übereinstimmungen sind so groß, dass wir aus der Vergangenheit etwas lernen können.
Vor allem erscheint es mir aberwitzig und gefährlich, wenn man historische Annahmen über den Umgang einheimischer Völker mit der Umwelt dazu benutzt, eine faire Behandlung dieser Menschen zu rechtfertigen. In vielen, vielleicht sogar den meisten Fällen haben Historiker und Archäologen stichhaltige Belege gefunden, dass diese Annahme (eines paradiesischen Umweltbewusstseins) falsch ist. Zieht man sie heran, um faires Verhalten gegenüber indigenen Völkern zu rechtfertigen, sagt man damit implizit auch, dass eine schlechte Behandlung vertretbar ist, wenn man die Annahme widerlegen kann. In Wirklichkeit speist sich die Begründung, die gegen eine schlechte Behandlung spricht, nicht aus historischen Vermutungen über ihren Umgang mit der Umwelt, sondern auf einen ethischen Grundsatz: Es ist moralisch falsch, wenn ein Volk ein anderes enteignet, unterdrückt oder ausrottet.
Das ist die Kontroverse im Zusammenhang mit den ökologischen Zusammenbrüchen der Vergangenheit. Was die Komplikationen angeht, so stimmt es natürlich nicht, dass alle Gesellschaften zum Zusammenbruch durch Umweltschäden verdammt waren: Früher haben manche Gesellschaften ein solches Schicksal erlitten, andere aber nicht; die eigentliche Frage lautet: Warum haben sich nur manche Gesellschaften als labil erwiesen, und was unterscheidet jene von den anderen, die erhalten blieben? Einige Gesellschaften, die ich im Folgenden genauer betrachten werde, beispielsweise die auf Island und Tikopia, wurden mit äußerst schwierigen Umweltproblemen fertig, konnten deshalb über sehr lange Zeit bestehen bleiben und gedeihen heute noch. Als norwegische Siedler in Island zum ersten Mal einer Umwelt gegenüber standen, die auf den ersten Blick jener in Norwegen zu ähneln schien, in Wirklichkeit aber ganz anders war, zerstörten sie unabsichtlich große Teile des isländischen Mutterbodens und fast sämtliche Wälder. Später war Island lange Zeit das ärmste und ökologisch am stärksten verwüstete Land Europas. Aber die Isländer lernten aus ihren Erfahrungen, ergriffen strenge Umweltschutzmaßnahmen und erfreuen sich heute eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen auf der ganzen Welt. Die Bürger von Tikopia bewohnen eine winzige Insel und sind von sämtlichen Nachbarn so weit entfernt, dass sie in fast allem zu Selbstversorgern werden mussten, aber sie bewirtschafteten ihre Ressourcen im Kleinen so gut und hielten ihre Bevölkerungszahl so streng unter Kontrolle, dass ihre Insel auch heute, nach 3000 Jahren der menschlichen Besiedelung, noch produktiv ist. Dieses Buch ist also keine
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