Kollaps
in den Barbaren wirklich die grundlegende Ursache für den Fall Roms sehen. Oder waren es die alten, unveränderten Barbaren, die schon seit eh und je an den Grenzen des Römischen Reiches warteten und erst dann die Oberhand gewinnen konnten, als Rom durch eine Mischung aus wirtschaftlichen, politischen, ökologischen und anderen Problemen geschwächt war? Dann müsste man den Zusammenbruch auf Roms eigene Probleme zurückführen, und die Barbaren versetzten ihm nur den Gnadenstoß. Diese Frage ist bis heute umstritten. Die gleiche Diskussion gibt es auch im Zusammenhang mit dem Fall des KhmerReiches von Angkor Wat durch die Invasion der Nachbarn aus Thailand, mit dem Niedergang der Kultur von Harappan im Industal und der Invasion der Arier, sowie mit dem Zusammenbruch des Reiches von Mykene und anderer bronzezeitlicher Gesellschaften am Mittelmeer nach der Invasion von Seefahrern.
Der vierte Faktor ist das Gegenteil des dritten: abnehmende Unterstützung durch freundliche Nachbarn statt zunehmender Angriffe durch Feinde. Im Allgemeinen hatten die Gesellschaften in der Geschichte nicht nur feindliche Nachbarn, sondern auch freundlich gesonnene Handelspartner. Oft handelte es sich bei Partnern und Feinden um die gleichen Nachbarn, die sich abwechselnd freundlich und feindselig verhielten. Die meisten Gesellschaften sind bis zu einem gewissen Grad auf freundliche Nachbarn angewiesen, entweder weil sie lebenswichtige Handelsgüter importieren müssen (man denke nur heute an die Ölimporte der USA oder den Import von Öl, Holz und Meeresfrüchten nach Japan), oder aber weil kulturelle Bindungen die Gesellschaft zusammenhalten (wie in Australien, dessen kulturelle Identität bis vor kurzer Zeit aus Großbritannien importiert wurde). Daraus ergibt sich eine Gefahr: Wird der Handelspartner aus irgendeinem Grund (beispielsweise durch Umweltschäden) geschwächt, sodass er die unentbehrlichen Importe oder kulturelle Bindungen nicht mehr bereitstellen kann, führt dies auch zu einer Schwächung der eigenen Gesellschaft. Dieses Problem ist uns heute sehr vertraut, denn die Industrieländer sind auf das Öl aus ökologisch empfindlichen und politisch unruhigen Drittweltländern angewiesen, die 1973 ein Ölembargo verhängten. Ähnliche Schwierigkeiten hatten in der Vergangenheit auch das norwegische Grönland, die Pitcairn-Inseln und andere Gesellschaften.
Der letzte meiner fünf Faktoren hat mit der allgegenwärtigen Frage zu tun, wie eine Gesellschaft auf ihre - ökologischen oder sonstigen - Probleme reagiert. Verschiedene Gesellschaften reagieren unterschiedlich auf ähnliche Herausforderungen. In der Vergangenheit hatten beispielsweise viele Gesellschaften große Schwierigkeiten mit der Waldzerstörung; im Hochland von Neuguinea sowie in Japan, auf Tikopia und den Tonga-Inseln entwickelte man daraufhin eine erfolgreiche Forstwirtschaft, und es ging den Ländern weiterhin gut, auf der Osterinsel, Mangareva und Normannisch-Grönland dagegen gelang eine Bewirtschaftung der Wälder nicht, und es kam zum Zusammenbruch. Wie sind solche unterschiedlichen Ergebnisse zu verstehen? Die Reaktionen einer Gesellschaft erwachsen aus ihren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Institutionen sowie aus ihren kulturellen Werten. Diese Institutionen und Werte haben Einfluss darauf, ob die Gesellschaft ihre Probleme lösen kann (oder überhaupt zu lösen versucht). Im weiteren Verlauf des vorliegenden Buches werden wir im Zusammenhang mit jeder Gesellschaft, deren Zusammenbruch oder Überleben wir betrachten, dieses fünfteilige Schema anwenden.
Eines sollte ich natürlich hinzufügen: Genau wie Klimawandel, feindliche Nachbarn und freundliche Handelspartner, so tragen auch Umweltschäden in manchen Fällen zum Zusammenbruch einer Gesellschaft bei, in anderen jedoch nicht. Die Behauptung, Umweltschäden seien eine entscheidende Ursache aller Zusammenbrüche gewesen, ist absurd: Ein Gegenbeispiel aus jüngerer Zeit ist der Zusammenbruch der Sowjetunion, aus der Antike kann man die Zerstörung Karthagos durch die Römer im Jahr 146 v. Chr. anführen. Es liegt auf der Hand, dass manchmal auch militärische oder wirtschaftliche Faktoren allein ausreichen.
Der vollständige Titel dieses Buches müsste also eigentlich lauten: »Gesellschaftszusammenbrüche mit ökologischer Komponente, in manchen Fällen auch unter Beteiligung von Klimawandel, feindseligen Nachbarn, freundlichen Handelspartnern und Fragen der gesellschaftlichen Reaktion«.
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