Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
Vom Netzwerk:
startete den getunten Motor, riss den Wagen herum und raste los Richtung Kantonsspital.
    Die Sirene schaltete er auf Stufe 5, die größte Lautstärke, die die Sirene hergab. Er hatte sie nie mehr gebraucht, seit er als blutjunger Polizist bei seiner ersten Blaulichtfahrt von seinem erfahrenen Patrouillenführer Walter Zumstein ausgelacht worden war. Der hatte ihn belustigt aufgefordert, die Sirene doch bitte ein klein wenig leiser zu stellen, es gehe ja schließlich nicht um das Leben des Papstes.
    Heinzmann krallte sich das Mikro, rief die Zentrale und meldete in knappster Form, dass er mit einem Verblutenden in Richtung Kantonsspital fahre.
    »Verstanden, Beinschuss, Oberschenkelarterie getroffen. Werden den Notfall im Kantonsspital alarmieren«, erhielt er als Antwort.
    Nach dieser Rückmeldung der Zentrale klickte es in der Leitung, der Gefreite Meier funkte ihn an. Heinzmann gab seinem Kollegen knapp die notwendigen Instruktionen. »Meier. Fahr zu Alis Buvette beim Campus. Regazzoni und Danner halten da einen Gemeingefährlichen in Schach.«
    »Verstanden.«
    »Achtung. Danner sichert mit einer geladenen Waffe. Mach dich von draußen bemerkbar, bevor du ins Zelt gehst!«
    »Verstanden.«
    »Ende.«
    Der Wachtmeister schmiss das Mikro runter. Der Einsatzwagen war bereits am Campus der Novartis vorbeigerast und preschte über den Voltaplatz. Den Rückspiegel stellte Heinzmann so, dass er Baumer in den Blick bekam. Der war zusammengesunken und hatte den Gürtel losgelassen. Blut quoll aus der Wunde.
    Heinzmann schrie auf und trat auf die Bremse. Dadurch rutschte Baumer in den Fußraum, gab aber keinen Ton von sich. Schnell beugte Heinzmann sich nach hinten, um den Gürtel wieder festzuzurren. Dabei spritzte ihm das Blut seines besten Freundes ins Gesicht. »Baumi, Baumi, halt durch, Baumi. Baumi«, schrie Heinzmann aus voller Kehle und er hörte sich selbst schreien. Es war ein hysterisches Kreischen, wie das des gewalttätigen Irren, den er vor zwei Monaten in die Psychiatrische Universitätsklinik eingeliefert hatte.
    Baumi lag auf dem Boden im Innenraum des Mercedes und hörte Heinzmann nicht. Alles was er hörte war, dass jemand entfernt seinen Namen rief.

    Maja?
    Sie rief ihn von Weitem. Er lag auf dem kleinen Balkon, auf einer dicken Matte. Die Beine konnte er nicht ausstrecken, dafür war der Balkon zu klein. Er hielt daher seine Füße auf die Gitterstäbe der Brüstung. Seine Zehen ragten durch die Stäbe hindurch und wurden von der bereits frischen Herbstluft gekühlt.
    »Baumi, Baumi«, rief Maja. »Wo bist du?«
    »Hier, auf dem Balkon«, machte sich Andi bemerkbar und seine Freundin kam endlich von der Eingangstür her zu ihm.

    Sie war die schönste Frau der Welt.

    Ihr langes Haar trug sie offen. Es wogte sanft über ihre Schultern, als sie näher kam. Das Schwarz ihres Haares trat auf dem weißen Baumwollkleid, das sie luftig umgab, noch erregender hervor. Die feuerroten Espadrilles schmiss Maja in hohem Bogen von den Füßen. Sie kicherte und verschluckte sich dabei, lachte, lachte.
    Andi sah, wie sie prustend näher kam, wie sie sich über ihn beugte, auf seinen Körper fallen ließ, spürte ihre Brüste auf seiner Brust, fühlte, wie er sie liebte, wie sie ihn liebte. Wie sie ihm gleich sagen würde, dass sie ihn liebte. Wirklich liebte!
    Plötzlich erschrak Andi, weil draußen vor dem Balkon eine Lokomotive zu schnell auf die Waggons auffuhr, die sie anhängen sollte. Er hörte den fürchterlichen Knall und schreckte auf. Und gleich noch mal und noch mal und noch mal knallte eine Lokomotive in die Puffer eines bereitgestellten Zuges.
    »Andi. Andi. Ich bin’s, Heinzmann. Bleib bei mir!«
    Jetzt sah Andi, wie ihm Heinzmann ins Gesicht schlug.
    »Gut so. Andi. Bleib bei mir. Ich bring dich ins Spital.«
    Andi sah, wie Heinzmann sich wieder ans Steuer drehte und aufs Gas trat. Er hörte ihn rufen: »Bleib da. Andi, Bleib da, Bleib da.«

    »Bleib da.«

    »Bleib da«, sagte Andi. Aber Maja antwortete. »Ich kann nicht.« »Bleib da, ich liebe dich«, wiederholte Andi und versuchte, Maja festzuhalten. Aber Maja schüttelte energisch den Kopf und umarmte sich mit beiden Armen selbst. Sie drückte sich ganz fest, so als würde sie sich selbst in Schutz nehmen müssen.
    »Bleib da«, bat Andi und schaute Maja an. Er sagte es nicht flehend. Nicht fordernd. Nur enttäuscht. Traurig. Unendlich traurig.
    Maja sagte nichts. Es war seit Langem schon alles gesagt. Dass sie Andi nicht liebte. Dass sie einen

Weitere Kostenlose Bücher