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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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er ungestümer gewesen denn je. Sie hatte recht, auch mit der Bemerkung, es sei doch selbstverständlich, daß im Alter die Kraftnachlasse. Ihr, Sophie – sie war nur drei Jahre jünger als Zacharias –, ergehe es nicht anders.
    In dem Brief hatte er geschrieben, er sei spätabends angerufen und zu einer Besprechung nach Alexandria gebeten worden. Fachleute aus verschiedenen Ländern seien dort, die sich mit der Möglichkeit einer Bepflanzung der Wüste beschäftigten, sie wollten mit ihm eine internationale Konferenz zu diesem Thema vorbereiten. In einigen Tagen sei er zu Hause. Er hielt diese Ausflucht für glaubwürdig, weil es weltweit niemanden gab, der mehr Erfahrung in der Bewirtschaftung des Wüstenbodens hatte als er.
    Ob seine Frau ihm glaubte oder nicht, hatte ohnehin keine Bedeutung. Man würde in einigen Tagen in seinem Haus in der Wüste drei Abschiedsbriefe finden und so erfahren, daß er tot ist. Ob man ihn selbst finden würde, war ungewiß. Die Briefe an seine Frau Sophie und seine Tochter Johanna hatte er bereits geschrieben, er trug sie bei sich. Den Brief an seinen Sohn David hatte er im Kopf. Er zögerte, ihn zu Papier zu bringen, der Brief schien ihm zu kurz und zu schroff. »Ich liebe Dich trotz allem.« Er hätte im Angesicht des Todes gern ein versöhnliches Wort angefügt – aber welches?
    Sarani, als Naturwissenschaftler und Techniker ein Zweifler par excellence, zweifelte nicht, daß seine Frau und seine Kinder dafür Verständnis haben würden, daß er sich mit gebrochenem, durch keine Heilkunst zu kurierendem Herzen in sein Haus in der Wüste zurückzog und dort lebte bis zu seinem Tod, der, wenn die Wüste gnädig war, ihn bald ereilen würde. Er setzte seine Hoffnung in den nächsten Sturm.
    Als Kind hatte er es als Kraftprobe empfunden, gegenden Sandsturm anzugehen, als ein Experiment, wie nahe die Menschennatur der Naturgewalt kommen darf, ohne von ihr zermalmt zu werden. Es war ein Abenteuer gewesen, gewiß, doch eines, nach dem er sich sehnte, kein Unternehmen, bei dem er das Leben aufs Spiel setzte.
    Im nächsten Sandsturm allerdings werde er, der Alte, umkommen, werde hinausgefegt werden aus dieser Welt – und endlich seinen beiden Brüdern und seinem Onkel nachfolgen.
    Er hatte sie vor fünfzig Jahren verloren; zuerst nur aus den Augen. Der Sandsturm wurde immer dichter, die Brüder und der Onkel gerieten in Panik, rannten gegen Abermilliarden Sandkörner an, wohl in der Hoffnung, auf diese Weise, in einem Sprint, die besiedelte Oase zu erreichen. Die lag jedoch weit weg. Zwanzig Kilometer im Sandsturm waren, wenn man nicht gelernt hatte, sich darin zu bewegen, eine undurchdringliche Hölle, in der die maschinenhafte Einförmigkeit des Tosens das Schrecklichste war.
    Ihn, den Jüngsten und Kleinsten, vergaßen sie in ihrer Todesangst; sie vergaßen aber auch, aufeinander zu achten. Als er sie zuletzt wahrnahm, umrißhaft, noch keine dreißig Meter entfernt, schienen sie nicht mehr die eigene Kleidung zu tragen, sondern waren umhüllt von Faltenwürfen aus Sand. Sie verschwanden so rasch, als müßten sie nicht gegen den Sturm ankämpfen, sondern als würden sie von ihm angesogen; und, für ihn der furchtbarste Eindruck: als würden sie nicht mit jedem schnellen Schritt an Kraft verlieren, sondern als eilten sie, von einer nicht bekannten Kraft angezogen, willfährig in diesen Sturm hinein.
    Sie stoben in drei Richtungen auseinander, als wären sieeinander feind und als wäre der Gegner nicht der Sturm, gegen den man zusammenstehen sollte. Gleich darauf versanken sie in der Wand aus Sandkörnern, die sich vor ihm auftürmte. In diesem Augenblick, daran dachte Sarani unwillig, denn die Erinnerung schmerzte ihn, war ihm klar, daß seine Brüder und sein Onkel umkommen würden.
    Er selbst zwang sich, ruhig zu bleiben, trotz der Angst, die ihn angesichts der maßlosen Wucht des Sturms überkam, eines Sturms, wie er noch nie einen erlebt hatte, und trotz des Schreckens, die Brüder und den Onkel verloren zu wissen. Ihm waren Sandstürme nicht fremd, er fühlte sich von klein an zu ihnen hingezogen. Ein Sandsturm war für ihn ein Abkömmling des Himmels, Wolken, die sich auf die Erde herabsenkten, dort als Sturm dahinrollten, jedoch nicht Regen in sich bargen, sondern Sand. In solche Wolken hineinzugehen, sich dort aufzuhalten, davon hatte er als Kind geträumt: Inmitten eines Sandsturms zu sein würde einen ahnen lassen, wie es im Himmel aussehe, im irdischen, an einen

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