0834 - Griff nach Armakath
Yola Hacoon war wieder einmal maßlos enttäuscht.
Wohin hatte Cay sie denn an diesem verregneten Vormittag nur wieder geschickt? Was sollte das sein? Eine Chance auf einen hoch dotierten Job? Ober Lustbeschauung von zwei alten Greisen, die sich nicht einmal wagten, ihre Gesichter im Hellen zu zeigen?
»Wir werden uns bei Ihrer Agentur melden …« Blablabla…
Solche Sprüche bekam Yola in letzter Zeit ein wenig zu oft zu hören. Und diesen Sprüchen folgten niemals die entsprechenden Taten. Also blieb ihr wieder einmal nichts anderes übrig, als sich auch in diesem Monat mit dümmlichen Werbefotos ihre Dollars zu verdienen.
Wenn es nur um sie selbst gegangen wäre, dann hätte Yola auch darauf oft nur zu gerne verzichtet. Sie alleine wäre schon irgendwie über die Runden gekommen. Doch sie war ja nicht alleine -auch wenn es ihr oft genau so vorkam…
Yola zog den Kragen ihres Mantels höher. Natürlich hatte sie keinen Schirm dabei. Als sie vor knapp zwei Stunden ihr Apartment verlassen hatte, war ja auch keine Wolke am Himmel zu sehen gewesen. Und nun, nach diesem Katastrophentermin, schüttete der Himmel über New York jede Menge Regenfrust auf Yola herab.
Aber gut, davon würde sie sich nun nicht abhalten lassen, ihrer Agentin einen Besuch abzustatten. Cay Raist war eine Spitzenkraft auf ihrem Gebiet. Die Namen der Models, die Gay an die Sonne gebracht hatte, lasen sich wie das who is who der Spitzenverdienerinnen der vergangenen Jahre. Und Cay hatte einen Narren an Yola gefressen - mehr noch, die beiden verband eine Freundschaft, die in der Branche nicht unbedingt so üblich war.
Die Modelagentur P.O.A. lag gerade zu perfekt am Rand vom Central Park; wenn man aus Gays Bürofenster sah, bückte man direkt auf Strawberry Fields - den kleinen tränenförmig angelegten Parkteil, der hier an John Lennons gewaltsamen Tod im Jahre 1980 erinnerte.
Yola fragte sich oft, wie hoch wohl die monatliche Miete für diese Räumlichkeiten in Toplage sein mochten. Hoch genug, um ihre Sorgen für locker ein gutes Jahr zu beheben, das stand fest.
P.O.A. stand als Abkürzung für Pictures of Art , was sicher ein wenig hochgestochen war, aber Klingeln gehörte in dieser Branche absolut zum Handwerk. Und Cay klingelte nach Herzenslust und erfolgreich.
Als die knapp fünfzigjährige Agenturchefin ihre junge Freundin so vor sich stehen sah - nass, mit laufendem Make up und unübersehbar schlechter Laune, da fragte sich Cay Raist zum x-ten Mal, warum dieses entzückende Wesen nicht seit einigen Jahren das Topmodel der Weltszene war. Yola wirkte wie ein zerrupftes Huhn, das mit Mühe und Not aus einer Waschanlage entkommen war, doch selbst jetzt sah sie einfach umwerfend aus.
Und diese Frage gab Cay immer wieder einen Stich ins Herz, denn hier versagte sie kläglich in ihrem Job. Es gab keinen Grund, Yola nicht problemlos zur Nummer 1 zu machen - und doch…
Die Agentin wusste keine vernünftige Antwort darauf zu geben.
Yola ließ sich in den Ledersessel mit den mächtigen Armlehnen direkt gegenüber Cay sinken. »Ich sollte dich verklagen - dir die Pest an den Hals wünschen! Das ist in dieser Woche schon der zweite unsinnige Termin, für den ich mich stundenlang herausgeputzt habe. Cay, willst du mich nicht mehr?«
Cay verbiss sich ein Grinsen und bemühte sich, so unbeeindruckt wie nur möglich zu wirken.
»Schätzchen, du spinnst. Du bist mein bestes Pferd im Stall, meine Zukunftsversicherung. Du bist mein Rentenmodell, Yola.« Eine von Cays Vorzimmerdamen brachte unaufgefordert starken Kaffee und ein großes flauschiges Handtuch für Yolas triefende Haarpracht.
Während sie sich den Regen vom big apple aus den Haaren wrang, blickteYola ihre Freundin strafend an. »Dein Rentenmodell, ja? Dann sieht es für deine altenTage aber mies aus, Cay. Warum jagst du mich zu zwei alten Knackern, die mich nur anstarren und dann nach zwei Minuten wieder fortschicken? In deiner Kartei sind die Goldadressen rund um diesen Globus - jeden-Tag rufen die Chaneis, die Lagerfelds, die großen Parfümeure, Bekleidungsketten - ach, was weiß ich noch wer alles - bei dir an. Und du schickst mich zu Waldorf und Staedtler aus der Muppet-Show. Nein, du willst mich nicht mehr, basta.« Der Kaffee brachte nur langsam ihre Lebensgeister wieder auf Trab, verbesserte ihre Laune jedoch nur unwesentlich.
Cay machte eine entschuldigende Geste. Was sollte sie Yola antworten? Die Kleine hatte ja voll und ganz Recht. Aber immer, wenn es um einen Job
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