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0899 - Schwanengesang

0899 - Schwanengesang

Titel: 0899 - Schwanengesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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Das helle Summen des Außenbordmotors war weit über den Moray Firth zu hören. Das kleine Boot, das sieh durch die leicht aufgewühlte Wasseroberfläche kämpfte und dabei gelegentlich wie ein flacher Kiesel hüpfte, entwickelte beachtliche Geschwindigkeit. Im Heck des Bootes saß eine junge, hübsche Frau, deren lange, blonde Haare im Fahrtwind wehten. Geübt lenkte sie das Gefährt, das ihr die Universität von Edinburgh bezahlte. Weit draußen konnte sie sogar ein paar Wale blasen sehen.
    Das ist wunderbar! Sie liebte diesen Anblick immer wieder. Trotzdem ging ihr momentanes Hauptinteresse wesentlich tiefer. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und ungefähr dreihundert Yards, um genau zu sein.
    Patricia Geery war also mehr als zufrieden, denn ihre Forschungen machten enorme Fortschritte und die Sonne schien heute Morgen auch. Ihre Laune war sogar so gut, dass sie einen Song ihrer Lieblingsinterpretin Amy MacDonald vor sich hin summte. »This is the life…«
    Die 24-Jährige freute sich auf ihren heutigen Tauchgang. Es würde der vorletzte sein. Sie arbeitete momentan an ihrer Doktorarbeit in Biologie und hatte sich das Thema »Der Einfluss des Klimawechsels auf die Nordsee« ausgesucht. In den Tiefen des Moray Firth, dem dreieckigen Meeresarm an der schottischen Nordküste, wollte sie untersuchen, in welchem Umfang der Treibhauseffekt schon heute zu Veränderungen in der Unterwasserwelt führte. Und sie hatte bereits einige besorgniserregende Dinge dokumentiert. Durch das Ausbleiben kalter Winter wanderten immer mehr kleinere Fischarten wie etwa Sardinen aus südlichen Gefilden in die Nordsee. Sogar Tintenfische hatte Patricia Geery aufgespürt und fotografiert, aber auch Quallen, die es bis vor Kurzem hier noch nicht gegeben hatte. Dafür schien zum Beispiel der Bestand an Hummern und Miesmuscheln stetig abzunehmen.
    In der Ferne sah Patricia den Hafen von Buckie. Zwei Fischtrawler liefen gerade aus. Möwen umflatterten sie zu Hunderten.
    »And you're singing the songs, thinking this is the life …« Die Monsterkrabben fielen Patricia ein. Von denen würde die schottische Nordseeküste wenigstens verschont bleiben, wenn sich das Klima weiter erwärmte. Denn die Polartiere, die aus dem Pazifik stammten und momentan die norwegische Küste hinunter alles kahl fraßen, würden nicht viel weiter südlich kommen. »Nichts, was nur schlechte Seiten hätte.« Das pflegte ihr Dad immer zu sagen. Ob er sie wohl vermisste? »Where you gonna go? Where you gonna sleep tonight?«
    Vor Buckie, gut zwei Meilen draußen im Firth, gab es schroffe, steile und unergründlich tief abfallende unterseeische Klippen. Hier, so hoffte sie, würde sie auf weitere, vielleicht sogar dramatische Veränderungen stoßen. Patricia machte den Motor aus, ließ das Boot ausgleiten und warf den Anker ins Wasser. Im Neopren-Anzug steckte sie bereits. Sie schnallte sich die Sauerstoffflaschen auf den Rücken, schlüpfte in die Flossen, setzte sich die Brille auf und hängte die Unterwasserkamera um. Dann ließ sie sich rücklings ins eiskalte Wasser der Nordsee plumpsen. An dieser Stelle war der Firth noch relativ flach. Sie musste eine gute halbe Meile tauchen, bis sich urplötzlich der Abgrund vor ihr auftat.
    Patricia schaltete den Scheinwerfer ein, den sie vor der Brust trug, denn die Sicht war nicht besonders gut. Dann arbeitete sie sich vorsichtig nach unten. Sie wusste, dass es gefährlich war, ganz alleine Tauchgänge in dieser Umgebung zu unternehmen. Aber sie war ein Leben lang Einzelgängerin gewesen und gedachte dies auch jetzt und hier nicht zu ändern.
    Ein paar Delphine tauchten aus dem Dunkel der See und schossen auf die Frau zu. Patricia erschrak für einen Moment, freute sich dann aber an den munteren Gesellen, die sie zwei Mal umkreisten und schon wieder weg waren.
    Schroffe Schründe und Spalten taten sich vor ihr auf. Vorsichtig tauchte sie weiter nach unten. Where you gonna sleep tonight… Warum geht mir das blöde Lied überhaupt nicht mehr aus dem Kopf? Ich… Mensch, spinn ich? Was ist denn das?
    Patricia verharrte für einen Moment. Ihr Herz schlug plötzlich hoch oben im Hals. Weit unter ihr drang seltsamer, bläulicher Lichtschein zwischen den Felsen hervor. Er bildete eine kleine Insel von gut zwanzig Yards Durchmesser, aber das konnte täuschen. Auf jeden Fall strahlte das Licht sehr intensiv.
    Abstruse Agenten- und Spionagegeschichten schossen ihr durch den Kopf. Steckte dort unten vielleicht ein U-Boot fest? Unsinn!…

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