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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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Gefährten nicht einmal eine Spur, sie blieben verschollen. Seine Brüder waren siebzehn und achtzehn Jahre alt, der Onkel, der jüngere Bruder von Saranis Vater, stand im vierundvierzigsten Lebensjahr. Bei der Suche nach ihnen scheute der ägyptische Staat keine Mittel, auch Militär wurde eingesetzt. Zeitungen und Radio behandelten den Fall als nationales Ereignis, man konnte sich an eine ähnliche Suchaktion nicht erinnern.
    Nach zwei Wochen gab man auf, und das nationale Ereignis, an dem das Land sich gelabt hatte, wandelte sich zur nationalen Katastrophe. Alle Schuld wurde den Suchmannschaften, hauptsächlich dem Militär, zugeschoben. Es wirkte auf die Stadtbewohner in der Tat lächerlich, daß drei Menschen, die in der Nähe eines defekten Autos, das man bald gefunden hatte, verschwunden waren, von Aberhunderten Soldaten nicht, auch nicht tot, gefunden wurden.
    Wenn in Kairo nur zwei Menschen beieinanderstanden, wurde in den ersten Tagen, nachdem der Mißerfolg zugegeben worden war, aufgeregt und lautstark bramarbasiert über die, selbstverständlich vorauszusehende, Unfähigkeit des Militärs. In den Tagen darauf war dieRede bereits von dessen Unwillen. Hohe Offiziere hätten in dem weiträumig abgesperrten Gebiet – warum abgesperrt, fragte man sich – genau dort suchen lassen, wo die Vermißten gewiß nicht zu finden gewesen wären. Das Militär, das dem Königshaus feindselig gegenüberstehe, darin kulminierte das Meinungsgebräu, habe die drei Mitglieder der königstreuen Familie Sarani mit Absicht sterben lassen.
    Man verdammte das unfähige Militär, mit Emporkömmlingen an der Spitze, welche dem König die Gunst, aufsteigen zu dürfen, damit vergalten, schon im nichtmilitärischen, im Katastropheneinsatz zu versagen – wenn nicht überhaupt illoyal zu sein. Der König wies die Kritik am Militär nicht zurück, er schien sie zu billigen, ja man hatte den Eindruck, daß er sie genoß.
    Da geschah Unerhörtes. Flugzettel wurden verteilt, zuerst im Basar; Flugzettel des Inhalts, das Militär habe bei der Suchaktion nichts anderes getan, als den Befehlen ihres Oberbefehlshabers, des Königs, zu gehorchen. Offensichtlich wälzten die Offiziere die Schuld, die ihnen von der Bevölkerung aufgehalst wurde, auf den König. Das öffentlich zu tun wurde von der Bevölkerung als Hochverrat empfunden, und man erwartete die Verhaftung und Erschießung der Schuldigen. Der König aber sprach von den Offizieren als von seinen Kindern, die nach und nach erwachsen würden und entsprechend aufbegehrten.
    Zacharias’ Vater hatte im Familienkreis den König als weise gelobt und bedauert, daß dessen Tage gezählt seien. Ist der König krank? wurde erschrocken gefragt. Der Vater schüttelte den Kopf, und dabei beließ er es. Dem König jedoch sagte er sehr bestimmt, wie er später seinerFrau und dem Sohn erzählte: daß jene Flugzettelaktion der Vorbote eines Militärputsches sei. Der König sah das auch so. Ob Vorkehrungen zu treffen seien, fragte der Vater. Der König schüttelte den Kopf. Er hing der Auffassung an, das gute Alte, das er repräsentiere, sei auf jeden Fall schlechter als das noch so schlechte Neue.
    Einzig der Onkel hätte an diesem Gedanken Gefallen gefunden. Er war erst dreiundvierzig, als er starb, zwanzig Jahre jünger als der König, und doch dessen bester, manche sagten, einziger Freund. Der Onkel, von Kindheit an dem Klavierspiel verfallen, hatte fünf Jahre an der Wiener Musikakademie eine Meisterklasse besucht. Seine Lehrerin, die wegen ihres Sarkasmus gefürchtete Franziska Huppert, war aus Überzeugung antipädagogisch. Zur Begrüßung sagte sie jedem Schüler – Schülerinnen nahm sie nicht, sie war extrem frauenfeindlich –, er möge sich stets vergegenwärtigen, daß er eine Zumutung für die Musik sei. Gleichwohl hatte sie weltweit den Ruf, die beste Lehrerin zu sein, insbesondere für die Interpretation Schuberts.
    Nach dem Klavierstudium wurde der Onkel von Konzertagenturen mit Angeboten überhäuft, doch er war an der Laufbahn eines Pianisten nicht interessiert. Er kehrte nach Kairo zurück, um wirtschaftliche Pläne zu verfolgen. Es waren vorerst vage Pläne, nichts, was eilte. Deshalb willigte er amüsiert ein, als der König ihn drängte, sein Klavierlehrer zu werden. Dem König lag an der Auffrischung seiner Kenntnisse. Die beiden spielten oft stundenlang vierhändig. Zu regieren gebe es ja nichts, antwortete er auf besorgtes Nachfragen des Pianisten, das Volk sei an Religion

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