Rattenkoenig
Unter dem Gewölbe eines tropischen Himmels lag Changi, in allen Regenbogenfarben schillernd wie eine Perle. Auf der Ostspitze der Insel Singapur krönte es eine kleine Anhöhe. Das Grün, in dem es eingebettet lag, wich in der Ferne dem jadefarbenen Meer und das Meer der Unendlichkeit des Horizonts. Aus der Nähe betrachtet, verlor Changi seine Schönheit und wurde das, was es war – ein widerliches, abstoßendes Gefängnis: Zellenblöcke, umgeben von Höfen in sengender Sonne, umgeben von hohen Mauern.
Innerhalb der Mauern, innerhalb der Zellenblöcke, Stockwerk auf Stockwerk, reichten die Zellen bei voller Belegung für zweitausend Gefangene. Jetzt lebten in den Zellen, auf den Gängen und in jeder Nische und Ritze an die achttausend Mann. Engländer und Australier in der Hauptsache – einige Neuseeländer und Kanadier –, die Überreste der Streitkräfte des Fernostfeldzuges.
Auch diese Männer waren Verbrecher. Groß war ihr Verbrechen. Einen Krieg hatten sie verloren. Und sie waren am Leben geblieben.
Die Zellentüren standen offen, und die Türen zu den Zellenblöcken standen offen, und das riesige Tor, das die Mauer zerschnitt, stand offen, und die Männer konnten ein und aus gehen – beinah uneingeschränkt. Dennoch herrschte Abgeschiedenheit, ein Geruch beängstigender Beengung.
Vor dem Tor führte eine Straße vorbei. Hundert Meter weiter westlich wurde diese Straße durch ein Gewirr von Stacheldrahttoren versperrt, und außerhalb dieser Tore stand ein Wachhaus, das vom bewaffneten Abschaum der Erobererhorden bevölkert war. Jenseits der Sperre lief die Straße fröhlich weiter, und mit der Zeit verlor sie sich in der wild wuchernden Stadt Singapur. Aber für die Männer endete die nach Westen führende Straße hundert Meter hinter dem Haupttor.
Nach Osten hin folgte die Straße der Mauer. Sie bog dann nach Süden ab und folgte erneut der Mauer. Zu beiden Seiten der Straße standen lange Reihen von ›Bruchschuppen‹, wie die grob gezimmerten Baracken genannt wurden. Sie waren alle gleich – sechzig Schritte lang, die Wände aus geflochtenen Wedeln der Kokospalme, die grob an Pfähle genagelt worden waren, und die Dächer ebenfalls aus Wedeln der Kokospalme. Lage auf verschimmelter Lage. Jedes Jahr wurde eine neue Schicht hinzugefügt oder hätte zumindest hinzugefügt werden sollen. Denn die Sonne und der Regen sowie die Insekten setzten dem Palmwedeldach hart zu und richteten es zugrunde. Einfache Öffnungen dienten als Fenster und Türen. Die Baracken hatten weit vorspringende Palmwedeldächer, um Sonne und Regen abzuhalten, und waren auf Betonstelzen gesetzt, um gegen Überschwemmungen geschützt zu sein und gegen Schlangen und Frösche, rote Wegschnecken und Weinbergschnecken, die Skorpione, Tausendfüßler, Käfer, Wanzen – alle möglichen Arten von Kriechgetier.
Offiziere wohnten in diesen Baracken.
Südlich und östlich der Straße lagen vier Reihen Betonbungalows, jeweils zwanzig in einer Reihe, Rücken an Rücken. Ranghöhere Offiziere – Majore, Oberstleutnants und Obersten – wohnten darin.
Die Straße bog nach Westen, folgte erneut der Mauer und stieß wieder auf eine Reihe von Atap baracken. Hier war alles untergebracht, was aus dem übervollen Gefängnis quoll.
Und in einer dieser Baracken, die kleiner war als die meisten, wohnte das amerikanische Kontingent von fünfundzwanzig Soldaten.
Wo die Straße erneut nach Norden umbog und sich eng an die Mauer schmiegte, lag ein Teil der Gemüsegärten. Die übrigen – die den größten Teil der Lagerverpflegung lieferten – lagen weiter nach Norden hin auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Gefängnistor. Die Straße führte durch die Gärten hindurch noch zweihundert Meter weiter und endete am Wachhaus.
Um das ganze vielleicht einen Kilometer breite und einen Kilometer lange Hungergebiet herum führte ein Stacheldrahtzaun. Leicht zu durchschneiden. Leicht zu durchbrechen. Kaum bewacht. Keine Suchscheinwerfer. Keine Maschinengewehrtürme. Aber wenn man erst draußen war, was dann? Die Heimat lag über See, jenseits des Horizonts, jenseits endlosen Wassers oder feindlichen Dschungels. Draußen lag Verderben für die, welche gingen, und für die, welche blieben.
Inzwischen war es 1945 geworden, und die Japaner hatten gelernt, die Lageraufsicht den Gefangenen zu überlassen. Die Japaner erteilten Befehle, und die Offiziere waren für die Ausführung verantwortlich. Wenn das Lager keine Scherereien machte, bekam
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