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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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vergangenen Winter die Welt eingestürzt.
    Er habe das, fuhr er fort, keineswegs hingenommen, habe sich dagegengestemmt, mit der Folge, daß er geradezu zertrümmert worden sei. Wie Zacharias wisse, habe Heinrich, in dieser Hinsicht dem Freund nicht unähnlich, stets Freude am Wechsel der Jahreszeiten empfunden und an den Kapriolen, die sie bereithielten. Wenn in früheren Jahren eine Nebeldecke sich über Wien gelegt habe, sei Freudensprung aus dem Haus geeilt, um den Nebel willkommen zu heißen, denn der habe wie in jedem Herbst die Stadt wieder zu einem kommodenRaum zusammengedrängt, in dem man, umherspazierend und ohne es eilig zu haben, auf das Ende des Jahres warten konnte.
    Im vergangenen Winter aber habe die Nebeldecke ihn niedergedrückt. Sei er, um etwas zu erledigen, aus dem Haus gegangen, habe er nach wenigen Schritten kehrtmachen und sich daheim niedersetzen müssen. Keuchend, als seien es seine letzten Atemzüge, habe er sich ins Badezimmer geschleppt, um das Fieberthermometer zu suchen, doch dieses Vorhaben sei in dem Augenblick vergessen gewesen, in dem er sein Gesicht im Spiegel erblickt habe. Zwei Monate vor seinem sechzigsten Geburtstag habe der Körper, insbesondere das Gesicht, Freudensprung die Gefolgschaft aufgekündigt: die Stirn von Furchen zerschnitten, die Wangen eingefallen, das Kinn zum Hals hinunterhängend. Das Schrecklichste seien die Augen gewesen, die zwar ihr Spiegelbild sehen konnten, im Spiegel aber aussahen, als hätten sie sich in den Kopf verkrochen.
    Und dann, in der Mitte der ersten Nebelwoche, dieser Sonneneinbruch! Am Morgen sei das Zimmer von weißem Licht erfüllt gewesen, es habe von dem Rauhreif hergerührt, der in unzähligen Spitzen von den Sträuchern wegstand und an dem die Sonnenstrahlen in Abermillionen kleine Lichter zersplitterten.
    Da habe er, fuhr Freudensprung fort, einen Entschluß gefaßt. Er sei in die Kleider gesprungen, in den Keller gelaufen, habe Schihose, Anorak, Schischuhe in eine Tasche gesteckt, Schi und Stöcke unter den Arm genommen, alles ins Auto geworfen und sei losgefahren, ein neuer Mensch auf dem Weg zum Semmering, froh darüber, nur eine halbe Stunde von Wien entfernt, auf demWeg zum Berg, die Landschaft neben der Straße von Schnee bedeckt zu sehen.
    Der neue Mensch, sagte Freudensprung, habe dem alten Tribut zollen und in einer Raststätte einen doppelten Espresso trinken müssen, ehe es hinaufging auf die Paßhöhe, wo ein Viertelmeter Schnee lag und auf einer Tafel zu lesen war, daß alle Lifte in Betrieb seien.
    Er habe zwar, da er zügig gefahren sei, während der ersten Abfahrt zweimal abgeschwungen und verschnauft, sei aber mit seiner Kondition nicht unzufrieden gewesen, so daß es ihn zu jener Abfahrt gezogen habe, die, nicht nur weil sie steil, sondern auch weil sie nicht präpariert war, von Kennern geschätzt wurde. Für ihn allerdings habe diese Abfahrt ein vorerst ungeklärtes Ende gefunden. Als er, nach einem schweren Sturz unterkühlt im Schnee liegend, erwachte, sei er, so rasch es ihm möglich war, hinunter zur Liftstation gefahren, wo er, obwohl benommen, nur einen Wunsch gehabt habe: zur Unfallstelle zurückzukehren, um zu rekonstruieren, was passiert war.
    Auf dem Lift habe er sich, sagte Freudensprung, schlecht gefühlt, was er darauf zurückführte, noch nichts gegessen zu haben, und so sei er in Gedanken an Specklinsen in das Berggasthaus gegangen, wo er aber wegen seiner Übelkeit nur Kaffee bestellt habe, und dieser sei ihm bekommen, so daß er die Schi angeschnallt und wieder in den steilen Hang hineingefahren sei, wo er, der eigenen Spur folgend, nach wenigen Schwüngen sah, daß er in einen unter dem Schnee verborgenen Baumstrunk gefahren, sich überschlagen und, ein Blutfleck zeigte es an, mit dem Kopf auf einem anderen Baumstrunk aufgeschlagen sei.
    Auf der Autofahrt nach Wien habe er sich noch einmalschwach gefühlt und in einer Raststätte Kaffe getrunken. Für die Zeit danach fehle die Erinnerung. Zwei Tage später sei er in seinem Bett erwacht und sehr hungrig gewesen, auf dem Weg zurück von dem Lebensmittelgeschäft habe er seinen Nachbarn getroffen, ihn gegrüßt und, er sei schon an dem Mann vorbeigewesen, den Ausruf Heinrich! vernommen und die Frage, was mit ihm sei, er sehe derart schlecht aus, der Nachbar habe ihn nicht erkannt. Freudensprung habe sich mit der Bemerkung, er sei erkältet, aus der Affäre gezogen, habe von Brot, Wurst und Käse nichts gegessen, sondern weitere zwei Tage geschlafen

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