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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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noch müde und gehe wieder zu Bett. Beim Frühstück würden sie sich wiedersehen.
    Mittags trafen sie einander in der Küche, tranken Wasser, sagten kein Wort und verschwanden wieder in ihre Zimmer. Um sieben Uhr abend fühlte Sarani sich ausgeschlafen. In seinen Gliedern spürte er eine neue Müdigkeit, die nicht mehr von der wochenlangen Überspannung durch Schlaflosigkeit und Verzweiflung herrührte, sondern sich der erlösenden Entspannung eines langen, tiefen Schlafes verdankte und eine vergnügliche Unlust hervorrief, etwas in gewohntem Tempo zu tun, weshalb Sarani, sicher ausschreitend, aber sehr langsam vom Schlafzimmer ins Atrium ging; auf Freudensprung, der bereits dort saß, wirkte das, als komme Sarani feierlichen Schritts daher – was er ihm auch sagte.
    Sarani nickte bedächtig und meinte, jedes Wort für sich setzend, Feierlichkeit sei durchaus angebracht, werde doch heute mit ihnen beiden ins Gericht gegangen, und zwar von ihnen selbst, da sonst niemand hier sei, Karem sei auf der Farm, um dort nach dem Rechten zu sehen, und fahre dann nach Kairo, um für Heinrich Kleidung zu kaufen.
    Freudensprung, im Sessel am Rand des Wasserbeckens sitzend, mit dem Rücken zum Wasser und vor sich die Lehmziegelwand, an der er sich nicht satt sehen konnte, sagte, wobei er nach dem Mokka griff, der vor ihm auf dem kleinen Tisch stand, er glaube nicht, daß es auf der Welt einen schöneren Gerichtssaal gebe als dieses Atrium. Und sollte Zacharias nichts dagegen einzuwenden haben, beginne Heinrich mit seiner Aussage.
    Er habe während des langen heilsamen Schlafes abstruses Zeug geträumt, an das er sich, zu Mittag erwacht, als an eine Wirklichkeit erinnert habe, die ihm in New York widerfahren sei. Nachdem er Lena und David in der PittiBar , Heinrichs Stammlokal, an seinem kleinen runden Stammtisch als Liebespaar – die Hände der beiden lagen vereint auf dem Tisch, ebendort ruhten weltvergessen ihre Blicke – gesehen habe, sei er nach Hause getaumelt, habe sich aus dem Fenster werfen wollen, sei aber zusammengebrochen.
    Auf dem Boden liegend, habe er mitansehen müssen, wie seine Füße und seine Unterschenkel mitsamt den Knien von ihm weggingen und er mit Beinstümpfen zurückblieb. Lena, dachte er, habe ihn verlassen, nun verließen ihn die Beine, sie eilten wohl zu dem Liebespaar und setzten sich zu diesem an den Tisch, dort sei es vergnüglicher als bei ihm, dem Verlierer.
    Zacharias Sarani sagte, nun sei er am Wort. Leider könne er mit Geschichten, in denen Gliedmaßen sich verselbständigen, nicht aufwarten. Von Lena wisse er nicht mehr, als Heinrich ihm am Tag zuvor erzählt habe. Die Sache mit dem Sohn wiege schwerer; seit einem halben Jahr habe er ihn nicht gesehen, auch keine Nachricht von ihm erhalten außer nichtssagenden Grüßen auf Ansichtskarten, welche David aus Berlin geschickt habe, mit dem Vermerk, er werde über kurz oder lang nach Ägypten zurückkehren und dem Vater erklären, warum er wegmußte. Kein Wort über die Akademie, auch nicht zu seiner Mutter, mit der er hin und wieder telefoniere.
    Möge das, fuhr Sarani fort, jeder halten, wie er wolle. Inakzeptabel allerdings sei, daß David, der es auf sich genommen habe, die Akademie in diesem Herbst zu eröffnen und zu diesem Anlaß eine Konferenz einzuberufen, für die aus aller Welt Leute gewonnen werden sollten, mit dem Ziel, eine neue Internationale zu gründen, nichtauf Manifesten beruhend, von denen gebe es genug, sondern auf Lebens- und Arbeitspraxis gerichtet, denn man könne die waffenstarrende, zugleich ausgelaugte und vor Angst zitternde Herrschaft nicht mit einem Streich wegfegen, man werde sie aber frohgemut untergraben – daß also David diese Sache nicht nur im Stich gelassen, sondern Zacharias von der Entscheidung nicht einmal in Kenntnis gesetzt habe, sei bislang nicht die Art seines Sohnes gewesen. Der habe treuherzig sein Ohr einem Menschen geliehen, der für ihn ein väterlicher Freund gewesen sei, und der, die Rede sei von Heinrich, habe ihn dem Vater entfremdet, um die Akademie zu Fall zu bringen.
    Heinrich Freudensprung nickte dem Freund zu, der nicht wußte, wie er das verstehen sollte – als Geständnis? –, und als Freudensprung aufstand, in die Küche ging, lässig, als sei er hier zu Haus, und sich an der Espressomaschine Kaffee machte, wollte Sarani ihm nachrufen, man solle die Sache auf sich beruhen lassen, doch Freudensprung setzte sich bereits mit einem Mokka an den Tisch und sagte, für ihn sei im

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