Kontaktversuche
mit einem hinterhältigen Lächeln an.
Der weiße Faden bog sich und rutschte weg. Die Schere schnappte
vergeblich. Es gelang mir nicht, den seltsamen Draht, oder was es nun
sein mochte, zu zerschneiden. Jetzt versuchte ich, ihn zu
zerreißen. Ich zog mit aller Kraft.
»Zieh nur, zieh!« forderte mich mein Freund auf.
»Hast du’s denn geschafft?«
»Nein, ich habe mich nur geschnitten dabei.« Er zeigte mir
seinen verletzten Finger. »Na, was sagst du nun?«
»Es sieht aus wie eine Schwachstromspule, obwohl ich eine solche
Art bisher nicht gesehen habe«, antwortete ich. »Der
Behälter und der Stab scheinen aus Glas zu sein, allerdings sind
sie dafür reichlich schwer. Aber der Draht – woraus der
besteht, ist mir einfach schleierhaft. Vielleicht ein unbekannter
Kunststoff von außergewöhnlicher Festigkeit.«
Losew unterbrach mich. »Nein, Kunststoff ist das nicht«,
erklärte er überzeugt. »Es kann kein Kunststoff
sein.«
»Dann weiß ich es nicht. Sag es mir lieber. Du siehst ja, ich krieg’s nicht raus.«
»Schön, ich will es dir verraten. Es ist ein Haar aus Mohammeds Bart.«
»Ein Haar? Von was für einem Mohammed?«
»Ein Haar aus dem Barte Mohammeds, des Propheten. Ich spreche
ganz im Ernst. Wenn du mir nicht glaubst – ich habe schriftliche
Beweise.«
»Und Allah persönlich hat dir das Haar aus dem Barte seines Propheten geschenkt, was?« fragte ich lachend.
»Nein. Ein Onkel von mir hat es eigenhändig aus einer
Moschee mitgenommen«, erwiderte Losew völlig ernsthaft.
»Und das hat ihm möglicherweise das Leben gekostet.«
Die Geschichte war in Kürze folgende:
Losews Onkel, ein Hauptmann Prionow, hatte im Balkankrieg eine Kompanie
befehligt. Im Herbst 1912 war sein Truppenteil in die kleine thrakische
Stadt Keschan eingezogen. In der Moschee dieses Ortes hatte er das
rätselhafte Behältnis entdeckt. Die Mohammedaner hüteten
es als großes Heiligtum, und das Städtchen war seinetwegen
im ganzen Ottomanischen Imperium berühmt. Losews Onkel aber nahm
es ohne viel Federlesens an sich. Doch ein alter Türke beobachtete
die Tempelschändung. Aus seinem Geschrei und seinen
Verwünschungen war zu entnehmen, daß die Moslems den Faden
für ein Haar aus dem Barte ihres Propheten hielten. Es hatte
angeblich die wunderbare Eigenschaft, von selbst weiter um den Stab zu
wachsen, und war nach Aussage des Alten klüger als die Sieben
Weisen.
Der Hauptmann fühlte sich nach den Verwünschungen der
Türken vielleicht doch nicht ganz so wohl im Besitz seiner Beute.
Vielleicht hörte er auch auf den Rat seines praktisch denkenden
Feldwebels, einen solchen Gegenstand nicht mit sich herumzutragen. Es
war immerhin Krieg, er konnte in Gefangenschaft geraten, und dann
hätten ihn die fanatischen Türken wahrscheinlich in
Stücke geschnitten. Jedenfalls schickte er das Röhrchen bei
nächster Gelegenheit durch einen nach Plowdiw zurückkehrenden
Soldaten an seine Schwester, die Mutter meines Freundes.
All das war in einem Brief, den Losew mir zu lesen gab, in recht
fesselnder und amüsanter Weise beschrieben, wobei sich der
Verfasser der heute veralteten, mit türkischen und russischen
Ausdrücken durchsetzten Sprache bediente, wie sie unter der
bulgarischen Intelligenz vor dem Balkankrieg üblich war.
Wenige Tage nach dem Besuch des mit der Übergabe beauftragten
Soldaten erhielt Losews Mutter die offizielle Nachricht, daß
»Herr Hauptmann Prionow in Erfüllung seiner
vaterländischen Pflicht den Heldentod für die Freiheit der
unterdrückten Stammesbrüder gestorben sei«.
»Danach lagen das Röhrchen und der Brief fünfzig Jahre
lang in einem Schrein meiner Mutter«, berichtete Losew weiter.
»Ich habe schon als Kind von dieser seltsamen Geschichte
gehört, aber meine Mutter wollte mir das Haar aus Mohammeds Bart
niemals zeigen. Offenbar hatte sie Angst; sie glaubte vielleicht, es
sei am Tod meines Onkels schuld. Erst als sie starb, fanden meine
Schwestern, bei denen sie in Plowdiw lebte, den Brief und das
Röhrchen. Von ihnen habe ich es bekommen.«
Losew nahm das »Haar« vom Tisch und wickelte es sorgfältig wieder auf den Stab.
»Ich hoffe, du glaubst mir auch ohne lange Erklärung, daß das kein Haar sein kann«, sagte ich.
»Das behauptet ja nur die Legende. Jetzt höre, weshalb ich
zu dir gekommen bin. Ich möchte, daß du diesen seltsamen
Gegenstand an dich nimmst. Nein, denke nicht, ich sei
abergläubisch. Ich bitte dich, den Faden im Labor zu
untersuchen.«
Ich hatte ohnehin vor, Losew zu bitten, mir
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