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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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Schneise, durch die ein kleiner Bach floss, der offensichtlich nach Regenfällen im Frühjahr und im Sommer zu einem schäumenden Wildbach wurde, viel breiter als das schmale Rinnsal, das jetzt da floss. Dafür sprach auch der Treibschlamm, in dem er so unrühmlich stecken geblieben war. In dem Augenblick dachte er an den Soldaten, der ihn hatte begleiten wollen, und erst da begriffen wir, dass er nicht mehr bei uns war. Der Kommandant begann, die Hände zu ringen und mit Fistelstimme zu schluchzen, dann aber fasste er sich und sagte, man solle Rettungsmannschaften organisieren und das ganze Gelände um unsere Unterkunft herum durchkämmen. Bloß nicht, widersprach Mladen, dafür sei es jetzt ohnehin zu spät. Wenn er noch am Leben sei, sei er so weit weg, dass er uns nicht mehr hören könne, und wenn er tot sei, bleibe nur noch, ihm einen Grabstein zu errichten. Lass das jetzt, warf einer der Soldaten ein, sag lieber, was in den Häusern war! Zunächst sei er, sagte Mladen, auf einen getöteten Hund gestoßen, dann habe er eine Katze mit gebrochenem Rückgrat gesehen und im Stall zwei tote Kühe und ein verrückt gewordenes Pferd vorgefunden. Wenn jemand so mit den Tieren umgegangen ist, was hat er erst mit den Menschen getan?, fragte sich Mladen. Er dachte daran zurückzukehren, seine Aufgabe war es ja nur zu prüfen, ob es diese Häuser wirklich gab, und nicht, was mit deren Einwohnern geschehen war. In dem Augenblick hörte er aber jemanden wehklagen und vergaß alles andere. Er sprang über einen schiefen Holzzaun, näherte sich langsam der Hausecke und schaute in den Hinterhof. Dort fand er ein Bild des Grauens: Auf einem großen Holztisch lagen zwei Körper. Ein alter Mann, bereits tot, und eine alte Frau, die von Zeit zu Zeit Schmerzensschreie ausstieß. Ihre Bäuche waren der ganzen Länge nach aufgeschlitzt, ein Teil der Innereien lag neben ihnen auf dem Tisch, die Gedärme hingen an der Seite herunter. Mladen drehte sich um, sagte er, und betrat das Haus, wo er weitere Familienmitglieder fand: zwei jüngere Männer, eine Frau und ein kleines Mädchen. Offensichtlich waren alle vergewaltigt und danach erdrosselt oder mit einem Kopfschuss getötet worden. Jeder Gegenstand im Haus lag an seinem Platz, als habe man peinlichst darauf geachtet, keine Unordnung zu hinterlassen. Da es nur wenige Fliegen und noch keinen Verwesungsgestank gab, nahm Mladen an, dass die Morde am Abend zuvor begangen worden waren, was ihn zu noch größerer Vorsicht mahnte und vom Besuch der weiteren Häuser abhielt. Außerdem, sagte er, wusste er nicht, zu welcher Seite die Ermordeten und zu welcher die Mörder gehörten. Er nenne sie Mörder, sagte er, denn bezeichnete er die Täter anders oder erklärte, Soldaten seien die Täter gewesen, würde er all die in den Schmutz ziehen, die unter Beachtung der Konventionen und Vorschriften Krieg führten. Ob er denn nichts gesehen habe, was auf mögliche Täter hindeuten könne, fragte der Kommandant. Die Soldaten wurden laut und riefen, dass sie nicht einmal wüssten, wer mit wem Krieg führe. Vielleicht seien sie, sagten die Soldaten, nur eine vermittelnde Armee in einer kriegerischen Auseinandersetzung, die nahe ihrer Staatsgrenze stattfinde, obwohl es auch möglich sei, sagten andere Soldaten, dass es sich um einen Bürgerkrieg handele und sie als die offizielle nationale Armee den Auftrag hätten, unparteiisch zur Beendigung der Auseinandersetzung beizutragen. Der Kommandant stand auf, wartete ab, bis sich die Soldaten beruhigt hatten, und sagte dann, er würde ihnen gern die Situation erläutern, verfüge aber selbst nicht über zuverlässige Informationen. In früheren Zeiten, sagte er, kam das häufig vor, die Königreiche waren groß, und die Boten brauchten mehrere Tage, um die Nachricht über das Ende eines Krieges in eine entlegene Provinz zu tragen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg glaubten japanische Soldaten auf kleinen Inseln im Pazifik jahrzehntelang, dass der Krieg noch immer andauerte und sie auf jeden Amerikaner schießen sollten, der sich ihnen näherte. Unsere Lage ist nicht so extrem, sagte der Kommandant, wenn auch unser Mangel an Informationen unverzeihlich ist, aber was habe er tun können, fragte er uns, da er, genau wie wir »in jener Nacht« geweckt, kaum Zeit gehabt habe, die Uniform anzuziehen und die Treppe zum Jeep hinunterzulaufen, der schon vor seinem Haus wartete. Alles würde ihm über Funk erklärt werden, sagte man ihm an der Sammelstelle, denn die

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