Kontrollpunkt
obwohl es nicht angenehm war, einen der Zugführer an einem Baum am Waldrand hängen zu sehen. Der erste Gedanke war, er habe sich umgebracht, aber dann sahen wir, dass seine Hände auf den Rücken gebunden waren, und etwas später fand jemand im Gebüsch eine kleine Kiste, auf die der unglückselige Zugführer wahrscheinlich hatte steigen müssen, nur damit diese ihm sofort wieder entzogen wurde, er nach unten sackte, sein Nacken brach und Urin ihm die Beine hinunterfloss. An all diesen Tagen versuchte der Funker vergebens, Verbindung mit dem Hauptquartier herzustellen, bis eines Morgens eine angenehme Frauenstimme auf seinen Anruf antwortete, allerdings in einer fremden Sprache. Der Funker holte den Kommandanten herbei, der setzte den Kopfhörer auf und schloss die Augen, als bereite er sich vor, seiner Lieblingsoper zu lauschen, hörte einige Augenblicke zu, wandte sich dann zum Funker und fragte ihn, ob er nicht vielleicht eine falsche Nummer gewählt habe. Der Funker sagte ihm, er stelle die Verbindung mit dem Hauptquartier nicht über das öffentliche Telefonnetz her, wo jeder mithören könne, sondern, wenigstens bisher, über eine bestimmte Frequenz, die keinem bekannt sein dürfe. Wenn es so ist, sagte der Kommandant, dann ist unser Hauptquartier in die Hände des Feindes gefallen. Aber wer war der Feind? In welcher Sprache hat sich die Person gemeldet?, fragten die übrigen Soldaten, worauf der Funker die Mithörtaste drückte. Nach einigem Rauschen und Krachen erreichte uns aus den kleinen Lautsprechern, die strategisch um unsere ganze Unterkunft herum verteilt waren, eine Stimme mit einem Singsang in einer fremden Sprache. Der Kommandant setzte einen Preis aus für den, der herausfände, um welche Sprache es sich handelte, und wenn er uns noch das Gesagte übersetzen könnte, würde es Preise nur so regnen. Wir wurden ernst und begannen zu horchen. Ganz sicher war das weder Deutsch noch Russisch und auch nicht unsere Sprache; danach schlossen wir Englisch, Holländisch und Französisch aus, auch Slowenisch, Bulgarisch, Tschechisch, Italienisch, Spanisch und Rumänisch kamen nicht in Frage, Arabisch, Hebräisch und Chinesisch ebenso wenig. Bald, sagte jemand belustigt, bleibt uns keine Sprache mehr! Was dann? Der Kommandant mahnte den, der das gesagt hatte, seine Zunge im Zaum zu halten, weil er leicht auf der Anklagebank landen könne und die Standgerichte beim Militär dafür bekannt seien, ohne Umschweife strengste Urteile zu fällen aus Angst, jedes andere Urteil könne Nachahmer ermutigen. Dann hob ein Soldat die Hand, so wie man sich in der Schule meldet, er streckte sogar einen Finger in die Höhe, damit der Lehrer beziehungsweise der Kommandant auf ihn aufmerksam wurde. Wenn uns schon diese Sprache an so viele andere Sprachen erinnert, sagte er, nachdem der Kommandant in seine Richtung genickt hatte, kann es sich dann nicht um Esperanto handeln? Einige Soldaten klatschten, andere machten sich über ihn lustig, die meisten sahen einander nur an und zuckten mit den Schultern. Der Soldat, der diese Frage gestellt hatte, konnte nicht wissen, dass Esperanto in seiner Jugend die große Leidenschaft des Kommandanten gewesen war. Wie viele Tage hatte er doch von einer friedlichen Welt geträumt, in der alle Menschen dieselbe Sprache sprechen wie in der Zeit vor der Erbauung des Babylonischen Turms! Esperanto schien ihm der edelste Traum zu sein, dem sich ein Mensch hingeben kann. Zunächst wollte er diesen militärischen Grünschnäbeln einige Worte über die Geschichte des Esperanto und natürlich über den Menschen, der es erfunden hatte, sagen, bekam aber Angst, er könnte sich vergessen und einen Antikriegsdiskurs beginnen, was – dessen war er sich sicher – einige Soldaten leicht dazu veranlassen könnte, ihn wegen Verbreitung von Pazifismus und wegen negativer Haltung gegenüber den Streitkräften nicht nur unseres Landes, sondern überhaupt, anzuzeigen. In Zeiten, in denen es gilt, jede Möglichkeit des Widerstands zu feiern und patriotische Ideen tatkräftig zu unterstützen, soll er, der Kommandant, sich da subversiv verhalten und indirekt zur Kapitulation ermuntern? Antikriegsdiskurs? Das kommt nicht in Frage, entschied der Kommandant, der diese militärische Bande am liebsten aufgelöst hätte, aber dann würde er selbst vor einem Standgericht landen, das sicherlich nicht das geringste Verständnis für Pazifisten zeigen würde. Indes, nichts von alldem beantwortete die Frage, wie man diese
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