Kopernikus 7
einließ, schien nur für Karin dort angebracht.
Wer war sie? Wo befand sie sich? Was war das für ein behaartes Tier, das über ihre Beine strich? Manchmal erreicht das Grauen einen Punkt, wo einem alles gleichgültig wird. Es scheint so, daß die Welt mit einem Ausmaß an Schrecken ausgestattet ist, daß er – jedenfalls in einen solch kleinen Kopf – nicht mehr hineinpassen will. Während sie noch in dem Tropf Steinwasser auf dem Grund der Höhle lag, jagten Fieberschauer ihren Rücken hinab.
Eine kühle Hand strich über ihren Mund. Etwas streichelte elektrisch ihr Nervengeflecht. Sie war – hätte man sie gesehen – weiß im Gesicht. Ihre Gedanken bauten sich zu einer einzigen phantastischen, lebenserhaltenden Kette auf. Neben ihr waren die Wände der Höhle mit lautem Geräusch geplatzt. Klebrige Feuchtigkeit rann ihre Schenkel hinab.
Sie hatte nach der eisernen Leiter, die in die Wand eingelassen war, gefaßt und rutschte ein halbes dutzendmal in das stinkende, klebrige Wasser ab. Zwei, drei der metallenen Bügel brachen aus, und aus einer Höhe von vielleicht zehn Metern stürzte sie fast ab. Wie in Trance kletterte sie wieder den Antigravschacht hinauf. Einmal glühten die Wände auf. Einen kurzen Augenblick sah sie über die Bordwand der Urmiel in den Zwischenraum hinaus.
Es schien, daß eine grüne Flüssigkeit das Raumschiff von allen Seiten umgab. Die Flüssigkeit spülte über das Schiff hinweg, wie von einer von draußen pumpenden, großen Lunge bewegt. Einmal drang die Flüssigkeit bis zu Karin vor, drang ihr in Mund und Nase ein und glitt durch sie hindurch, bevor das Kind auf der eisernen Leiter das Gleichgewicht verlor. Der Stern über ihr leuchtete noch.
Einmal war Karin mitten in der Nacht aufgewacht, als der Mond bleich und blaß durch das Kabinenfenster schien. Schnell hüpften von dem halb zurückgeschlagenen Laken ein Dutzend Zwerge ab. In der Ecke der Kabine raschelte etwas. Glühende Augen starrten aus der Dunkelheit. Sie verstand nicht, woher das Seufzen und Stöhnen, gleich neben ihr, gleich um die Ecke, kam.
Als sie wieder in den Schlaf, auf den Boden des Brunnenschachts hinab, fiel, zerrieb sie ihre Kiefer in einem malmenden Geräusch. Sie lag in ihrem Bett, in einem gelben Licht, die kleinen Hände zu trotzigen Fäusten geballt. Manchmal trat Schaum über ihre Lippen aus. Das Spinnennetz über ihrem Kopf strich immer wieder auf die Kissen herab. Eine Pflanze wuchs in dem Bettkasten neben Karin auf – groß, grün, schlürfend blähte sie sich über einem fleischigen, roten Kelch.
Entgegen dem Befehl ihres Vaters war sie – noch als kleines Kind – zum Fenster hinausgeschlüpft. Sie stand auf dem Fenstervorsprung in dem von unten heraufdringenden Licht hoch über der summenden Stadt. Als sich die Erde drehte, wurde ihr schwindlig. Der Mond hatte sich als große rote Scheibe über den Himmel bewegt. Ein Paar Krähen segelte mit krächzenden Rufen unter einem dünnen Wolkensaum hinweg.
Auf dem gläsernen Dach, unter dem ein Treibhaus lag, hob Karin ein weggeworfenes Spielzeug auf – ein von Tobias gebasteltes Projektil, eine Spindel, ein schlankes Raketending. Das Projektil erzitterte in ihrer Hand. Wie wenn man in die Zukunft sehen kann, erkannte sie, wie sich das Projektil ihrer Hand entwand. Es stieg steil über den Dächern auf, bohrte sich in den Wolkenschleier hinein und erstrahlte zuletzt als weißer Punkt, der um die Erde lief.
Sie öffnete die an der Spitze der Urmiel angebrachte Luke mit einem Ruck. Die Luft, die ihr entgegenschlug, war frisch und rein. In einem Luftloch kletterte sie durch die Luke auf die Außenwand des Schiffs hinaus. Unter ihren bloßen Füßen lag die Schiffshülle nackt und kalt. Von der Spitze des Schiffs, von dem dort angebrachten Antennenwald, war ein feines, glitzerndes, silbriges Netz weit hinaus zu den entferntesten Sternen gespannt.
Vorsichtig, mit nackten Zehen, trat Karin auf ein dickes Tau hinaus, das direkt von der Luke zu den Sternen lief. Das Tau unter ihren Füßen war feucht und kalt. Es zitterte unter der kleinen Last. Tauperlen fielen von ihm ab. Das entfernte Spinnennetz leuchtete in roten und blauen Farben auf. Kristall regnete vom Himmel herab. In dem Kristall war jetzt ein dunkler Leib zu sehen – ein unförmiges Ding, das erstaunlich behende über die Fäden herunterglitt.
Dann wuchsen aus dem Leib seidene Härchen auf, bald ein ganzer klebriger, finsterer Wald. Die Spinne schickte ein leises Zischen
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