Kopernikus 7
aufbrach und den Spalt für ein seidenes Gespinst freigab.
„Mutter Gottes“, murmelte das Kind, schon ganz wirr, „Mutter Gottes, was ist hier nur los? Was ist hier nur los? Wie kann es sein, daß unser schönes Schiff so mit Spinnen angefüllt ist?“
Aber ist es nicht so, daß es Zeiten gibt, in denen sich unser Verstand zusammenzieht? Ist es nicht so, daß man in bestimmten Situationen nicht mehr denkt? Daß man entweder – wenn der Verstand der Lage nicht mehr gewachsen ist – auseinanderfällt oder aber, wenn ein unendliches Vertrauen in uns ist, der Körper ganz am Ende allein die Richtung noch bestimmt?
Man muß zugeben, daß Spinnenaugen etwas Schönes sind. Für Karin war der schwarze Lichterkranz, der sich vor ihr befand, wie ein vielfältiges Kameraauge, das auf sie sah. Vielleicht lag in ihrem Wahnsinn etwas Eitelkeit. Ja, als sie sich vorwärts warf, durch den seidenen Vorhang, der jetzt von allen Seiten kam, richtete sie sich sogar ein wenig auf – sagen wir, wie eine kleine Königin, die ihren auftreibenden Körper dem Kameraauge entgegenwirft.
Schwer zu sagen, wie das kam – während der durchsichtige Schleier, der jetzt nicht übel roch, als dichte, schillernde Masse auf sie herunterkam, hatte Karin zwei, drei Spinnenleiber, die sich aufblähten, zur Seite gefetzt. Sie kroch über einen sich bewegenden, haarigen Körper wie über einen Berg. Sie spürte in der linken Schulter einen brennenden Biß. Dann fiel sie in den Antigravitationsschacht hinab, auf dessen Boden sie eine tiefe Ohnmacht überkam.
Sie wußte nicht, wie lange sie im Antigravschacht lag. Sie schlug die Augen auf, als etwas Kühles, Feuchtes auf sie troff. Sie schrie, da sie in einer fauligen Pfütze lag, dumpf auf. Sie schrie selbst dann noch, als die Erkenntnis hinter ihrer Stirn heraufzog, daß wirkliches, vielleicht brackiges, vielleicht abgestandenes Wasser sie umgab. Dann – sie hatte vergebens nach dem über ihr thronenden Spinnentier gespäht – weinte sie ein wenig.
Dann umgab sie ein grünes Licht, das aus den Wänden des Stahlzylinders fiel. Es schien, als liege die Molekularstruktur der Antigravröhre bloß. Als schattenhaften Umriß konnte sie die Einrichtungsgegenstände der Urmiel hinter der Röhre sehen – ein waberndes, sich aufblähendes, wieder zusammenstürzendes Gewirr, das aus Mikroelementen, Computerkonsole, Schlafkabinen und einem riesigen schwarzen, ein wenig blau strahlenden Motor bestand.
Jetzt fielen die Schiffswände völlig zurück. Sie sah in den Zwischenraum hinaus. Dort, wo sonst eine sanfte energetische Strömung floß, erstreckte sich ein roter, klebriger Brei. Es sah aus, als platzten in diesem Brei hin und wieder in zeitlupenhaftem Tempo dicke Blasen auf. Gelegentlich pulsierte der Brei. Dann schob er große Klumpen einer schillernden Materie auf die Urmiel hinauf. Einmal riß der Brei, und Karin erkannte durch die entstandene Öffnung den milden Glanz des Zwischenraums.
Jetzt sah sie auch, daß der Brei mit seltsamen Wesen bevölkert war. Aus einer der Blasen hatte eine riesige, feuchte Zunge über die Urmiel geleckt. Ein Ding, das wie ein purpurner Frosch aussah, fiel seitlich von dem Schiff aus einem Loch, das der Brei freigab, und stürzte, sich verlängernd, in den blauen, schillernden Schatten einer einzelnen Sonne hinab. Ein pulsierendes Kiemenpaar zog sich so abrupt von der Urmiel zurück, daß sich sekundenlang der Umriß eines drahtigen Wesens mit glitzernden Augen vor dem schmatzenden Brei abhob.
Der Brei vibrierte und bildete eine große, schwarze Höhle aus, an deren Rändern eine Doppelreihe blitzender, blauweißer Zähne sproß. Inmitten der Höhle glühte es purpurrot. Mit zwei, drei Lidschlägen taten sich zwei gewaltige fahle Augen auf. Als das Ding näher kam, wuchs es logarithmisch an. Dann erlosch rings um Karin das grüne Licht, und es schien, als werde das Schiff nach vorn gesaugt. Der Antigravschacht erhielt einen schweren Stoß, Metall barst in der Dunkelheit, es roch nach verbranntem Fleisch.
Wenn man auf dem Boden eines tiefen Brunnens steht, leuchten hoch über dem Kopf, in dem kleinen Ausschnitt, den die Brunnenöffnung vom Himmel freigibt, die Sterne auf. Wir haben als Kinder, wenn die Klassenfahrt zu einer mittelalterlichen Burg hinging, alle, der Reihe nach, so in den Himmel geschaut. Man sagt auch, daß Kinder unter einem besonderen Leitstern stehen. Der hellste Stern, ein weißer Riese, den der Zwischenraum durch eine Verwerfung
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