Kopernikus 7
in dem neuen, aus Deutschland importierten Fahrzeug – und bis zum Hotel noch eine Stunde. Die Ebene, die an den getönten Fenstern vorbeizog, zeigte sich nun nicht mehr so sattfarben wie von oben, dünn und staubig waren das Gras und die niedrigen Häuser und die Palmen, und die Luft über dem Horizont flirrte. Die Stunde dehnte sich, dann, endlich, die langgestreckten Reihen der Hotelzimmer, der Empfangstrakt, das Ausladen, die Duschen.
In der Nacht sanken zwar die Temperaturen um einige Grad, aber die Schwüle blieb, die fremde, tropische Luft stülpte sich wie eine Glocke über die Neuangekommenen, fahl und fettig glänzte der Mond.
Kwa-n-Sana hatte sich erhoben, die Aschenreste ringsum sorgfältig aufgesammelt und die Spuren seiner Zehen verwischt. Hier über der trockenen Savanne war die Luft klar, der Mond klein und grell, die Nacht voll katzenhafter Geschmeidigkeit. Der Mann schritt behend und geräuschlos voran, dem fernen Dorf am Rand der Hochebene entgegen.
Als sich der Horizont rötete, sah er das Tal und den kleinen Wald, auch die Hütten, er blieb stehen und wandte sich den Sonnenstrahlen zu und verneigte sich.
DIE SONNE KENIAS, blinzelte Fenter in diesem Augenblick und rekapitulierte den Prospekttext, TRAUMURLAUB AM INDISCHEN OZEAN. IDYLLISCHE, RUHIGE GEGEND, HOTEL MIT FAMILIÄREM CHARAKTER, ABENDS AUCH UNTERHALTUNG, UNTERKUNFT FÜR 180 GÄSTE, ALLE ZIMMER MIT WC UND DUSCHE, BALKON, AUF WUNSCH MIT KLIMAANLAGE. WASSERSPORTMÖGLICHKEITEN, TAUCHEN, SCHNORCHELN, SEGELN, SURFEN, HOCHSEEFISCHEN. AUSSERDEM FOTOSAFARIS. ERLEBEN SIE LAND, LEUTE UND DIE HERRLICHE TIERWELT.
Fenter sprang summend aus dem Bett, REICHE V EGETATION , MALERISCHER SANDSTRAND , er betrachtete die lange Kette der Hotelzimmer, die leere Terrasse, auf der weiße, zweirädrige Sessel herumstanden, eine Bierdose rollte am Rand der wenigen Stufen, die zur Bucht hinabführten, SÜSSWASSERSCHWIMMBAD, RUSTIKALER GRILLROOM, Fenter fühlte sich unausgeschlafen, hatte keinen Appetit, auch Carola hatte die ganze Nacht gewühlt, ihr langes, blondes Haar klebte auf den Kissen. Nur die Kinder, schweißglänzend, lagen still.
SICHERE BUCHT, SPIELMÖGLICHKEITEN, WEITES, 50000 QM GROSSES GELÄNDE. Mit der Sonne kam frische Luft vom Meer herüber, im zwielichtigen Morgen sah Fenter den Mond verblassen. Ihm war, als schaukelte er noch immer in zwölftausend Metern Höhe.
Hier, in der Weite der Savanne, unter dem wispernden Himmel, war Kwa-n-Sana aufgewachsen, zwischen den Geistern der Nacht und der Kraft des Tags. Während er die Augen schloß und das Stirnband mit der rechten Handfläche berührte, rief er um Schutz für das Dorf und die zwölf Familien, die hier mit ihm lebten.
Es waren Kikuju, ein Volk von Bauern, die seit alters her östlich der Großen Königreiche gelebt hatten. Sie waren nie mächtig gewesen, doch durch harte Arbeit wohlhabend geworden, ihr Land diesseits des Viktoria-Sees war gut und fruchtbar, die Nachbarn hatten ihre Märkte gesucht. Doch als auf den alten Handelsstraßen zwischen Hochland und Küste die Eisenbahn gebaut wurde, ging es mit dem Frieden der Kikuju zu Ende. Weiße Kolonisten vertrieben sie von ihren Äckern und Weiden, zerstörten ihren Handel und nahmen ihnen die Selbständigkeit. Nun machte die Imperial East Africa Company die Gesetze, regierte und richtete, und die zähen, stillen Kikuju zogen sich auf das trockene, unfruchtbare Savannenland zurück und schwiegen.
Kwa-n-Sana war in diesem Schweigen groß geworden, kannte die Not seines Volkes und die unstillbaren Wünsche, aber auch den Rausch der afrikanischen Befreiung, das Mau-mau des Löwen und die wilden Reden der politischen Führer.
In dieser Nacht, in der er die Gesichter gesehen hatte, war ihm klargeworden, daß das Schweigen zu Ende war. Der Große Rat würde zu ihm sprechen.
Kwa-n-Sana war der gewählte Orkoyote des Dorfes, der Zauberer. Seit drei Tagen hatte er seinen Körper auf diese Begegnung vorbereitet, hatte nichts gegessen und lange Wanderungen durch das Land der Kikuju gemacht. Nun war der Rat der Ahnen zusammengetreten, Kwa-n-Sana ins Dorf zurückgekehrt.
Die Häuser liegen noch in tiefem Schlaf, vierzehn Hütten, im Norden das Gemeindehaus, ein größerer Lehmbau mit mächtigen Pfählen, im Süden die Getreidewanne, der Dorfaltar und das Haus des Zauberers. Die langen Schatten des frühen Morgens zeichnen das Dorf reliefartig nach, die Runddächer, den spitzen Altarstein, die Dorfmauer, dahinter die Gärten und den Wald.
Zwei
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