Kopernikus 8
Sterne so wunderbar in der kalten, schwarzen Nacht geleuchtet. Alle vertrauten Konstellationen waren da, um mich zu führen – das Schiff, der Rat der Sieben, das Katzending, das Reptil. Das sollte Blindheit sein? Nein, zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich sehen, konnte ich frei und ungehindert und ungetrübt sehen.
Und dann kam Tina in meine Zelle. Sie war ganz Entzücken, ihre blauen Augen funkelten, während sie mir erzählte, daß die Liste verkündet wurde, die Berufungen bekanntgegeben wurden.
Ich glaube, schon damals wußte ich es. Selbstverständlich sagte sie mir nichts. Rom und ich hatten mit niemandem über unsere Liebe gesprochen, nicht einmal mit unseren Gruppenpartnern. Es war eine private Angelegenheit, eine herrliche und einzigartige persönliche Erfahrung, die man mit niemandem teilen durfte, sondern die man für sich behalten und verbergen mußte.
Ich ging widerstrebend, und Tina konnte mich nicht verstehen. Sie war mit Franco gepaart worden, und damit war sie zufrieden – aber nicht verliebt, nicht verliebt. Wir wußten nicht, ob sich andere unserer Gruppenpartner liebten. Es interessierte uns auch nicht. Einzig unsere gegenseitigen Gefühle zählten. Daher schleppte ich mich weiter, von bösen Vorahnungen erfüllt. Doch der Augenblick der Wahrheit ließ sich nicht länger hinauszögern. Ich stand vor der Liste, mein Finger folgte den Namen. Ich wollte es wissen – und wollte es auch wieder nicht wissen. Ich wurde von der Intensität meiner Gefühle zermalmt. Und dann fand ich endlich meinen Namen – Jill. Mein Blick glitt zu der Spalte, in der der Partner eingetragen war – Kendy. Nicht Rom. Nicht mein Geliebter, sondern Kendy, Kendy mit den grauen Augen und dem Haar von der Farbe des Sternenlichts. Rom wurde mit Hannah gepaart.
In diesem Augenblick erkannte ich, was Wahnsinn ist. Ich fand mich an jenem geheimen Ort wieder, wo Rom und ich einander unsere Liebe geschworen hatten, unter den Malvenblättern, doch ich wußte nicht zu sagen, wie ich dorthin gelangt war. Ich wartete auf Rom, doch er kam nicht. Ich wartete, bis die Sonne tief am Horizont stand und die Farne lange Schatten warfen, deren Finger zur Basis deuteten. Dann erst trieb mich die Furcht vor den Katzendingern, die des Nachts ihr Unwesen treiben und die Unachtsamen mit scharfen Klauen zerreißen, wieder zurück.
Rom war bei Hannah. Sie klammerte sich besitzergreifend an seinen Arm und betrachtete ihn stolz – aber ohne Liebe.
Als Kendy meine Schulter berührte, schrie ich. Ich sah den Schmerz in Roms Gesicht, doch er kam nicht zu mir. Er trat einen Schritt nach vorn – wollte er zu mir kommen? –, doch Hannah zog ihn zurück, und er blieb bei ihr.
Ich sagte es ihnen, ich schleuderte es allen Mitgliedern des Genetischen Konzils ins Gesicht. Sie saßen auf ihren Plätzen und betrachteten mich mit kalten, unbarmherzigen Blicken. Gerard, der Bewahrer des Reservoirs, sprach das Verdikt aus. Es war ein Wort, das ich überhaupt nicht kannte. Sie sprachen es aus, als wäre es abscheulich und bösartig. Die erste, sagten sie. Die erste der Schiffsgeneration. Gelegentlich im Verlauf der langen Reise war das nötig gewesen, wegen der Strahlenschäden, doch seit das Schiff gelandet war, hatte keine Notwendigkeit mehr bestanden, es durchzuführen. Und nun ich. Das war abstoßend und schockierend. Ein Schandfleck. Sie hörten nicht auf mein Flehen.
Keine Zeit, sagten sie. Keine Zeit, du kannst das Kind unmöglich austragen. Du darfst den Plan nicht stören, sagten sie. Du paarst dich mit Kendy, Rom paart sich mit Hannah – nur auf diese Weise läßt sich das Schema aufrechterhalten. Nur so läßt sich das Genetische Reservoir rein erhalten. Nur durch Einhalten des
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