Kopernikus 8
überläßt es den Religionsanhängern, zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zu wählen, als Asche vom Winde verweht oder als Leiche unter dem Boden beerdigt zu werden.
Die Sonne hat den halben Weg zum Zenit zurückgelegt. Mama bekommt Schwierigkeiten mit dem Atmen, ihre Arme und ihr Nacken werden rot und aufgeschwollen. Dreimal war sie bisher außerhalb der Stadt, und dreimal wurde sie auch von dieser Allergie befallen. Chib tätschelt ihre Hand, während sie über eine schlecht gepflasterte Straße fahren. Das archaische achtzigjährige Fahrzeug, das von einem Elektromotor angetrieben wird, fährt allerdings nur im Vergleich zu der Gondel holpernd. Es legt die zehn Kilometer bis zum Friedhof mit Höchstgeschwindigkeit zurück und hält nur einmal an, um einen Hirsch passieren zu lassen.
Vater Fellini begrüßt sie. Er ist in Nöten, da er gezwungen ist, den Anverwandten mitzuteilen, daß Großpapa in den Augen der Kirche ein Sakrileg begangen hat. Die Leiche eines anderen Mannes gegen die eigene einzutauschen, eine Messe über ihr lesen und sie in geweihter Erde begraben zu lassen – das ist Blasphemie. Mehr noch, Großpapa starb als ein Verbrecher ohne Reue. Wenigstens legte er, nach Wissen der Kirche, vor seinem Tod keine Beichte ab.
Chib hat mit dieser Weigerung gerechnet. St. Marys von BH-14 hat sich geweigert, die nötigen Formalitäten für Großpapa zu erledigen. Aber Großpapa hatte immer gesagt, daß er neben den Ahnen begraben werden wollte, und Chib wird sicherstellen, daß ihm dieser Wunsch auch erfüllt wird.
Chib sagt: „Ich werde ihn selbst begraben! Direkt am Rand des Friedhofes!“
„Das können Sie nicht tun!“ sagen der Priester, die Angestellten des Bestattungsinstitutes und der Bundesbeamte wie aus einem Munde.
„Und ob ich kann! Wo ist die Schaufel?“
Da erst sieht er das dünne, dunkle Gesicht und die falkoforme Nase von Accipiter. Der Agent überwacht die Ausgrabung von Großpapas (erstem) Sarg. In der Nähe stehen mindestens fünfzig Fidomänner, die mit ihren Minikameras filmen, wobei die Sender einige Dekameter neben ihnen schweben. Großpapa steht im Zentrum des Interesses, wie es dem Letzten Milliardär und dem Größten Verbrecher des Jahrhunderts auch zusteht.
Fidointerviewer: „Mr. Accipiter, würden Sie uns einige Worte zur Erklärung abgeben? Ich übertreibe wohl kaum, wenn ich Ihnen sage, daß mindestens zehn Milliarden Menschen diesem historischen Ereignis zusehen. Schließlich wissen ja sogar schon die Vorschulkinder über Win-again Winnegan Bescheid.
Wie fühlen Sie sich jetzt? Sie haben schon seit sechsundzwanzig Jahren mit dem Fall zu tun. Der erfolgreiche Abschluß muß Ihnen doch eine große Befriedigung sein.“
Accipiter (ohne zu lächeln und so säuerlich wie Zitronensaft): „Nun, ich habe diesem Fall selbstverständlich nicht meine volle Aufmerksamkeit gewidmet. Alles in allem vielleicht maximal drei Jahre. Aber da ich mich jeden Monat mindestens ein paar Tage darum gekümmert habe, könnte man durchaus sagen, daß ich bereits seit sechsundzwanzig Jahren auf Winnegans Spur bin.“
Interviewer: „Man sagt, daß der Abschluß dieses Falles auch gleichzeitig das Ende des IRB bedeutet. Wenn wir nicht falsch informiert wurden, dann wurde das IRB allein wegen Winnegan noch weiter geführt. Sie hatten in dieser Zeit selbstverständlich auch noch andere Dinge zu tun, aber das Aufspüren von Betrügern und Spielern, die ihr Einkommen nicht richtig gemeldet haben, wurde doch inzwischen an andere Ämter übertragen. Ist das richtig? Und was haben Sie nun vor?“
Accipiter (dessen Stimme ein funkelnder Kristall verschiedener Emotionen ist): „Ja, das IRB wird aufgelöst. Aber erst nachdem der Fall gegen Winnegan und seine Enkelin nebst deren Sohn abgeschlossen ist. Sie haben ihn verborgen, und daher sind sie der Mittäterschaft schuldig.
Eigentlich sollte man die gesamte Bevölkerung von Beverly Hills, Ebene vierzehn, mit anklagen. Ich weiß, was ich leider nicht beweisen kann, daß jeder, sogar der honorige Polizeichef, gewußt hat, daß Winnegan sich in jenem Haus verbarg. Sogar Winnegans Priester wußte es, da er gelegentlich zur Messe und Beichte ging. Der Priester versicherte, er habe Winnegan immer angehalten, sich freiwillig zu stellen, erst dann wollte er ihm die Absolution erteilen.
Aber Winnegan, einer der härtesten Kriminellen, der mir je untergekommen ist, weigerte sich. Er behauptete, daß er kein Verbrechen begangen habe, sondern daß, ob
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