Kopernikus 8
Küche gerade mit einer Flasche Fusel verlassen. Sie kreischte fast. Aber sie erholte sich rasch wieder und gab vor, mich nicht zu sehen. Vielleicht glaubte sie, sie hätte einen Geist gesehen. Bezweifle ich aber. Vielleicht hat sie es schon überall in der Stadt rumgetratscht.“
„Vielleicht hat sie es dem Doktor erzählt“, sagt Chib. „Sie hat dich vor einigen Wochen schon einmal gesehen, erinnerst du dich noch? Sie könnte es erwähnt haben, während sie von ihren sogenannten Zaubersprüchen und Halluzinationen laberte.“
„Und die alten Knochenbrecher, die die Familiengeschichte kennen, haben sofort das IRB verständigt. Vielleicht.“
Chib schaut durch das Okular des Periskops. Er dreht es rundum und betätigt die Griffe, um das Einauge am anderen Ende höher und tiefer zu stellen. Accipiter stolziert um das Aggregat der sieben Eier herum, jedes am Ende eines dünnen, zweigähnlichen Wegs, der vom zentralen Pfad abweicht. Accipiter entscheidet sich für den Weg, der zu Mrs. Applebaums Tür führt. Die Tür geht auf.
„Er muß sie ja direkt von ihrem Fickomaten weggeholt haben“, sagt Chib. „Und sie muß ganz schön einsam sein, da sie sich nicht über Fido mit ihm unterhält. Mein Gott, sie ist ja noch fetter als Mama!“
„Warum nicht?“ antwortet Großpapa. „Mr. und Mrs. Jedermann sitzen schließlich den ganzen Tag lang auf den Ärschen, trinken und essen und sehen Fido, und dabei werden ihre Gehirne zu Matsch und ihre Körper zu Fett. Cäsar hätte heute keine Schwierigkeiten mehr, sich mit dicken Männern zu umgeben. Hast du aufgegessen, Brutus?“
Großpapas Kommentar sollte eigentlich nicht für Mrs. Applebaum gelten. Sie hat ein Loch im Kopf, und Menschen, die nach dem Fickomaten süchtig sind, werden selten fett. Sie liegen den ganzen Tag auf dem Bett und haben die Nadel im Lustzentrum des Gehirns, in das sie winzige elektrische Ströme abgibt. Unsagbare Ekstase durchflutet ihren Körper, ein Gefühl, das Essen, Trinken und Sex bei weitem übertrifft. Im Grunde genommen ist es illegal, aber die Regierung kümmert sich nur dann darum, wenn sie einen Süchtigen noch wegen etwas anderem kaschen möchte, da ein Süchtiger selten Kinder hat. Zwanzig Prozent der Bevölkerung von LA haben winzige Löcher mit Schäften im Kopf, um die Nadel einzuführen. Fünf Prozent sind süchtig, sie werfen ihr Leben weg, essen selten etwas, ihre verkümmerten Harnblasen schütten Gift in den Körper aus.
Chib sagt: „Mein Bruder und meine Schwester könnten dich manchmal gesehen haben, wenn du kurzzeitig draußen warst. Könnte es sein, daß sie …?“
„Sie halten mich auch für einen Geist. In diesem Zeital ter! Und doch ist es vielleicht ein gutes Zeichen, daß sie noch an etwas glauben können – und wenn es nur ein Spuk ist.“
„Du gehst wohl besser nicht mehr in die Kirche.“
„Die Kirche und du, das sind die beiden Dinge, die mich am Leben halten. Es war ein trauriger Tag für mich, als du mir sagtest, daß du nicht glauben kannst. Du hättest einen prächtigen Priester abgegeben – selbstverständlich mit gewissen Fehlern –, und ich hätte Privatmessen und Beichten hier im Zimmer haben können.“
Chib sagt nichts. Er war nur zur Weihe und Kommunion gegangen, um Großpapa eine Freude zu machen. Die Kirche war eine eiförmige Muschel, die, hielt man sie ans Ohr, nur das ferne Dröhnen Gottes von sich gab, der wie die herantosende Flut klang.
GANZE UNIVERSEN FLEHEN NACH GÖTTERN
und trotzdem hängt er in dem hier herum und sucht Arbeit.
aus Großpapas Ms.
Großpapa nimmt das Okular und schaut hindurch. Er lacht. „Das Internal Revenue Bureau! Ich dachte, das wäre schon längst abgeschafft! Wer hat denn ein Einkommen, das groß genug ist, daß man es
Weitere Kostenlose Bücher